Die Kunst eilt Sympra voraus: Noch bevor ich die Agentur das erste Mal betreten hatte, wusste ich von den Ausstellungen, die regelmäßig hier stattfinden. Die Gründe dafür kenne ich mittlerweile. Es sind die gleichen, die mich jeden Tag bei meiner Arbeit inspirieren.
„Kannst Du es auf dieser Höhe gut sehen?“, fragte mich meine Zimmernachbarin bei Sympra, als wir die Helfer des Künstlers Stephan Zirwes dabei unterstützten, einen geeigneten Platz für eine 40 x 40 cm große Fotografie zu finden. Die Aufnahme zeigte das Außenbecken eines Thermalbads aus der Vogelperspektive. Am Beckenrand drapierten sich gänzlich unbekleidete Sonnenanbeter:innen – in entspannter Position, scheinbar nichts ahnend von der Drohne, die über ihnen schwirrte. Unabhängig von dem Motiv, das bereits einige meiner Kolleg:innen zu einer genaueren Betrachtung veranlasste, war uns daran gelegen, das Kunstwerk so zu platzieren, dass es aus verschiedenen Perspektiven gut sichtbar ist: Von meinem gegenüberliegenden Schreibtisch aus, aber auch durch die Monitor-Kameralinse meiner Kollegin.
Den besonderen Effekt, den diese kuratorische Übung auf mich hatte, war die präzisere Wahrnehmung meiner Umgebung. Die Frage nach dem geeigneten Ort für das Kunstwerk veranlasste mich umgehend zu weiteren Fragen: Was sehe ich von meinem Schreibtisch aus? Was sieht die Person, die meinen Arbeitsraum betritt als erstes? Was sehen die Personen, mit denen ich im Video-Call spreche, hinter meinem Rücken? Für mich als Betrachterin ist die Herausforderung, immer wieder neue Perspektiven und keine gewohnten Standpunkte einzunehmen, eine wertvolle Stütze, um beispielsweise Kommunikationsstrategien zu erstellen. Denn auch dafür ist es wesentlich, Themen von außen, aus der Sicht der Zielgruppen zu betrachten.
Raum für mehr Kreativität
Gleichzeitig veranlassen mich die Bilder dazu, meine eigene Rolle zu hinterfragen. Wechselnde Ausstellungen im Haus gehen mit anderen Kunstwerken und mit anderen Hängungen und Raumnutzungen einher. Zirwes‘ Kunstschau lässt ebenso wie die Ausstellung „Sinnfluten“ von Klaus Heuser, die ihr voranging, nicht nur neue Inhalte offenbar werden, sondern auch neue Strukturen. Seine Werke sprechen für sich – und auch miteinander. Einmal aufgehängt, entfalten die Bilder ihre raumbewegende Wirkung, treten in Dialog miteinander und kommentieren sogar manche Orte im Haus. Dieses Spiel mit den Räumen entzieht mir meine gewohnte Umgebung und meine Position darin, fördert jedoch meine Kreativität und bestärkt mich in meiner täglichen Arbeit als wahlweise Strategiefinderin, Kreativitätsverstärkerin oder Ideengeberin für die Öffentlichkeitsarbeit.
Woher diese Ideen kommen, ist oftmals schwer zu sagen, was jedoch ihren Nährboden, den kreativen Freiraum bereitet, dagegen weniger. Die Entstehung der Ausstellung und die Bilder selbst inspirieren mich immer wieder zu kreativen Einfällen oder wecken Erinnerungen und Assoziationen. Wenn ich meinen Blick nach links schweifen lasse, schaue ich auf das von oben fotografierte Schwimmerbecken „Pools“ (Stephan Zirwes, 2020) und warte auf lange, kräftige Arme, die ihre Bahnen durch das leuchtend blaue, die Sonne widerspiegelnde Wasser ziehen. Diese Wirkung begünstigt die Zeitlosigkeit der Werke, die ihrem klassischen Ausstellungskontext enthoben sind. Ich muss den Werken nicht flüsternd aus der Distanz gegenübertreten, sondern darf sie nach meinen eigenen Regeln auf mich wirken lassen: ob ich stürmisch die Treppe an ihnen vorbeilaufe, oder sie täglich von meinem Schreibtisch aus betrachte. In der holzvertäfelten, 1906 erbauten Jugendstil-Villa von Sympra ausgestellt, fügen sich die Bilder weder nahtlos in die Architektur des Hauses, noch in die Arbeitsumgebung einer Agentur. Vielmehr stehen sie nur für sich und fordern mich zu einer unverstellten Reaktion heraus.
Mein Einsatz für die Platzierung der Thermalbad-Fotografie trug schlussendlich nur kurz Früchte, das Bild wurde kurz darauf verkauft und ersetzt. Viel entscheidender ist jedoch: Mit jedem neuen Kunstwerk und jeder neuen Ausstellung warten weitere Inspirationen und Ideen auf mich. Manche davon bleiben für immer – in Text gegossen und in eine Geschichte verpackt.
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