Neulich habe ich versucht zu rekonstruieren, wo die Weiche gestellt wurde, die den Zug meines Lebens dorthin geleitet hat, wo er heute noch fährt. Dabei habe ich festgestellt, dass es gleich mehrere Zufälle waren – oder Vorhersehung, „providence“? – die aneinandergereiht meine Vita gelenkt haben.
Mein Studium liegt nun schon ein paar Jährchen zurück. Dass ich Wirtschaftswissenschaften studiert habe, lag daran, dass ich in einer schicken Werbeagentur arbeiten wollte und mir ein Agenturchef seinerzeit den Weg über eine Marketingausbildung empfohlen hatte. Dass ich zunächst mal Mathe 1 und 2 bewältigen musste, war mir bei der Wahl des Studiengangs nicht wirklich bewusst. Heute muss ich feststellen, dass ich das Ganze überhaupt recht blauäugig anging – kein Wunder, dass ich schon nach ein paar Wochen kognitive Dissonanzen hatte und ich mir nicht mehr sicher war, ob mich Makroökonomie wirklich in die coole Agenturwelt führen würde.
Ich habe in den ersten Tagen in meiner neuen Heimat Stuttgart auf dem Weindorf Penny*, eine Philippinin, kennengelernt, die in einer Studentenorganisation Auslandspraktika für ihre Kommilitonen organisierte. Das fand ich spannend und engagierte mich fortan in derselben Gruppierung. In den Semesterferien traf ich mich regelmäßig mit Praktikanten aus allen Herren Ländern (damals noch weitgehend ausgenommen die Staaten des Ostblocks) und beschloss, auch vorlesungsfreie Zeit arbeitend im Ausland zu verbringen. Mein Antrag war erfolgreich, ich hatte das Angebot, im türkischen Izmir einen Hersteller von Natursteinfliesen beim Exportieren nach Deutschland zu unterstützen. Ich war Feuer und Flamme das Angebot anzunehmen, …
Da kam dann die PR dazwischen
… bis ich mitbekommen hatte, dass die Pressestelle der Standard Elektrik Lorenz AG (später Alcatel, dann Alcatel-Lucent, jetzt Nokia) einen Praktikanten suchte. Ein kurzes Bewerbungsgespräch, und ich hatte Job! Ich sagte den Türken ab. Das war gut, denn bei SEL lernte ich die wunderbare Welt der Öffentlichkeitsarbeit kennen und schätzen. Mein Berufswunsch nahm Formen an.
Praktikum. Noch ein Praktikum. Werkstudent (der letzte übrigens, der festangestellt wurde, sodass ich mir als Student ein paar Belegschaftsaktien kaufen konnte). Einige Monate später eröffnete uns der Leiter der Fachpressestelle, Helmut v. Stackelberg, dass er das Unternehmen verlassen und in eine Werbeagentur wechseln würde. Das war dann schon gegen Ende meines Studiums, und er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, in dieser Werbeagentur meinen Berufsstart zu vollziehen.
Mich zog’s aber zunächst für ein Praktikum an eine Hochschule nach Mexiko. Dass ich diese Stelle bekommen hatte, war auch wieder einer dieser Zufälle, denn ich sprach damals kein Spanisch. Zwölf Monate später startete ich dann aber tatsächlich in der Werbeagentur, machte mich zwei Jahre danach mit meinem ehemaligen Boss selbstständig und gründete Sympra.
Zuffenhausen statt Ägäis
Vermutlich war die Entscheidung für mein PR-Praktikum beim Telekommunikationshersteller die entscheidende dafür, dass ich heute bei und mit Sympra Öffentlichkeitsarbeit mache. Dass ich aber überhaupt vor diese Wahl gestellt wurde, war eine Aneinanderreihung unvorhergesehener Begebenheiten – genau so, wie auch heute noch Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten mehr oder weniger zufällig zu uns finden – SEO hin oder her.
Will sagen: Man kann versuchen, sein Leben, seine Karriere noch so detailliert zu planen; am Ende sind es Zufälle, die einen in die B2B-Branche bringen oder zu einem Experten für Blutbiomarker machen, die einen mit netten Kollegen zusammenführen oder mit Lösungen gegen den Hunger in Afrika konfrontieren, die einem einen Partner bescheren oder den Sitz in einem Beirat. Schön, wenn man nicht alles planen und vorbereiten kann.
*Als ich vor ein paar Jahren ein Seminar an der Universität Hohenheim hielt, kam eine der Studierenden auf mich zu und richtete mir einen Gruß von ihrer Mutter aus. Es war die Tochter von Penny, der philippinischen Praktikantin, die zufällig in meine Seminargruppe gelost wurde.
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