Wie die Nähnadel digital wird

Die Nähnadel ist eine geniale Erfindung, vor langer Zeit von einem schlauen Kopf erdacht. In der heutigen Welt der Produkte ist die Nadel allerdings ein analoger Dinosaurier und für mich gerade deswegen ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie auch ein Hersteller mit traditionellem Sortiment sich digital neu erfinden kann. Damit so etwas gelingt, braucht es wiederum schlaue Köpfe. Davon gab es auf dem Hightech Summit Baden-Württemberg genügend. 37 Redner lieferten den mehr als 1.000 Teilnehmern des Technologiekongresses Informationen zur digitalen Transformation und zu Erfolgschancen im Datenzeitalter. Konkret ging es immer wieder um die Frage: Was bringt die Digitalisierung meinen Kunden? Im Fall der Nähnadel ist die Antwort eindeutig: Sehr viel! Nämlich mehr Sicherheit, höhere Produktivität und geringere Umweltbelastungen.

Mühsame Suche mit Fingerspitzengefühl
Beim Zusammennähen von Hosen, Blusen & Co brechen jedes Jahr rund 5 Milliarden industrieller Nadeln. Für die Bekleidungsindustrie ein echtes Problem, denn bereits kleinste Splitter können Verbraucher verletzen. In den USA hat das schon zu Schadensersatz in Millionenhöhe geführt. Einen internationalen Standard, wie Nähereien mit Nadelbruch umzugehen haben, gibt es nicht. Wie auch immer das Ganze abläuft, das Verfahren ist mühselig. Nähmaschinen werden gestoppt, die winzigen Teile mit Fingerspitzengefühl und Metalldetektor gesucht, die Fundstücke als Beweis auf Papier geklebt, über Jahre aufbewahrt. Das muss doch für unsere Kunden einfacher gehen, dachte man sich bei Grotz-Becker – einem der weltweit führenden Hersteller von maschinellen Industrienadeln. Die pfiffigen Köpfe in Albstadt tüftelten ein spezielles Qualitätsmanagement aus und ließen es unter dem Namen INH (Ideal Needle Handling) patentieren. Das Herzstück ist ein Nadelausgabewagen, zugleich Sammelstelle für beschädigte und gebrochene Nadeln. Der Prozess machte das Handling beim Nadelbruch deutlich effektiver. Allerdings: die Nadelbruchstücke mussten weiterhin manuell auf Papier geklebt und physisch aufbewahrt werden.

Digitale Lösung spart Papier und Stahl
Die Schwaben rechneten nach: Im Durchschnitt werden 15 Nadeln auf einen Aufbewahrungsbogen geklebt. Das verbraucht jährlich 334 Millionen Blatt Papier. Zudem werden 90 Prozent der Nadeln nach Ablauf der Beweisfrist nicht recycelt. Das macht 3.150 t Stahl – hochgerechnet auf 20 Jahre entspricht das der Stahlmenge, aus denen die 102 Stockwerke des Empire State Buildings gebaut sind. Dieser Ressourcenverschwendung stellte Grotz-Becker eine digitale Lösung entgegen. Der Komponentenlieferant entwickelte eine mobile App, ein Verwaltungsprogramm und stattet die Nadelausgabewagen mit festinstallierten Tablets aus. Deren Kameras fotografieren die Nadelbruchstücke. Anschließend gibt der Benutzer über die App Daten ein, wie Standort, Datum oder die Nummer des Produktionsauftrags, um das Foto zuzuordnen. In Verbindung mit dem Verwaltungsprogramm entsteht ein exakt gekennzeichneter, jederzeit abrufbarer Bilddatensatz, der auch vor Gericht als Beweis anerkannt wird. Da die gebrochenen Nadeln nicht mehr auf Papier geklebt sind, lassen sie sich zudem einfach wiederverwerten. Die digitalisierten Nadelstücke sind wirklich ein cleveres Beispiel dafür, wie sich Probleme auf ganz neue Art und Weise lösen lassen, wenn Unternehmen ihre analogen Produkte mit Hightech verbinden.

 

 

Über die Verfasserin

Rebecca Weiand-Schütt ist Senior Consultant bei Sympra. Die PR-Referentin und Wirtschaftswissenschaftlerin betreut Unternehmen in allen Bereichen der B2B-Kommunikation und hat sich zur Digital Transformation Managerin fortgebildet.

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