Warum ich nicht (mehr) im Vertrieb für Startups arbeite

Mein Freund Albrecht hatte eine gute Idee: Selbst Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und daher Insider, was den persönlichen Geschmack der Kameraden anging, startete er mit dem Handel von Bierkrügen mit Sankt-Florian-Motiven. Mit gedruckten Flyern schrieb er die Feuerwehren des Landes an und offerierte seine Krüge bedruckt mit Drehleitern, Feuersbrünsten, löschenden Feuerwehrmännern. Teils verkaufte er die Krüge in Kommission, teils aus seinem kleinen Lager in der Scheune seiner Eltern. Der Geschäftsverlauf war – sagen wir mal: durchaus typisch für ein Startup in der Anfangsphase.

Die Weihnachtszeit nahte, und was liegt da näher, als Bierkrüge, Wandteller und Porzellan mit verschiedenen Motiven auf dem Pforzheimer Weihnachtsmarkt zu verkaufen? Drei Wochen auf einem Markt sollten Albrecht den finalen Durchbruch bringen!

Einziges Problem war: Albrecht befand sich gerade in der Schlussphase seiner Dissertation und konnte nicht selbst am Stand verkaufen. Gute Freunde – wie ich – Kommilitonen, Geschwister und Verwandte bildeten daher die Vertriebsmannschaft. Da der Stand immer von zwei Personen besetzt werden musste, gab es einen detaillierten Einsatzplan im schön geschmückten Holzhäuschen in der Pforzheimer Fußgängerzone.

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Gut gefüllt mit Dutzenden von Bierkrügen  für Angler, Kegler und Tennisspieler, für Bäcker, Metzger und Maurer, mit Blumenmotiven und lustigen Sprüchen („Bier her, Bier her, oder ich fall’ um!“), Jahreskrüge mit ziseliertem Zinndeckel, einen Krug, aus dem zwei Personen gleichzeitig trinken können. Und natürlich Wandteller: bedruckt mit Spitzweg- und Rembrandtmotiven, mit Bildern naiver Künstler, mit historischen Ansichten von Pforzheim. Und eine Riesencharge Mercedes-Benz-Krüge („100 Jahre Automobil“), ein Restposten, bei dem die Marge beträchtlich gewesen wäre – hätten wir denn welche davon verkauft. Haben wir aber nicht. Es gab sogar einen Tag mit dem Negativrekordumsatz von 0 DM (in EUR: 0).

Aus Marketingsicht hatte das Projekt Probleme bei allen vier „P“s:

  1. Price: Die Produkte waren schlichtweg zu teuer. Nur wenige kaufen auf einem Weihnachtsmarkt spontan Waren, die teurer, teils sehr viel teurer als 20 Mark/Euro sind.
  2. Place: Unser Standort war beschissen.
  3. Promotion: Wie soll ich Kunden anwerben, wenn stundenlang schlichtweg niemand am Stand vorbeiläuft?
  4. Product: Wer, um Gottes Willen, braucht einen Fußballer-Krug oder einen mit Silberdisteln bedruckten Teller?

Der Gründer, damals fast promovierter Wirtschaftswissenschaftler, musste seine Geschäftsidee als gescheitert betrachten. Der Gewinn aus drei Wochen Markt reichte bei weitem nicht aus, die Platz- und Standmiete zu bezahlen, und schon gar nicht für die vereinbarten Honorare des Verkaufspersonals.

Ich erinnere mich immer wieder an das Projekt zurück, das nun wirklich schon viele Jahre zurückliegt. Ich habe gelernt, dass Verkaufen auf einem Markt eine Knochenarbeit sein kann; lieber preise ich PR-Dienstleistungen an, hinter denen ich stehen kann, als dass ich kitschige Porzellanartikel an Mann zu bringen versuche. Wir sahen Albrechts Idee als spaßiges Studentenprojekt an; heute würden wir sagen, dass wir uns in ein Startup eingebracht haben – und da ist Scheitern bekanntlich erlaubt. Und vielleicht entsprang dem Spirit, den wir damals alle entwickelt hatten, auch der Funke, der mich Jahre später eine Agentur gründen ließ.

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Zuhause habe ich noch einen dieser Krüge. Er ist selten in Gebrauch, und jedes Jahr überlege ich, ob ich ihn nicht als Geschenk fürs Schrottwichteln geben soll. Ich bring’s dann aber doch nicht übers Herz, mich von ihm zu trennen. Er ist halt doch eine Trophäe meines Einsatzes im Gründer-Hard-core-selling.

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Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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