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Eine Geschichte aus dem wahren Leben.
Die Ausgangssituation
Kommt der Geschäftsführer eines nicht ganz kleinen Unternehmens auf eine PR-Agentur zu und meint, er wolle künftig Social Media für die Ansprache potenzieller Kunden einsetzen. Er habe in der Vergangenheit mit einem PR-Büro zusammengearbeitet, die zwar einen guten Job in Sachen klassischer Pressearbeit gemacht habe, aber nun brauche er die nicht mehr, denn nun solle die Pressearbeit durch Social Media Relations komplett ersetzt werden. (Anmerkung: Wie toll Facebook & Co. ist, hat er durch seine studierende Tochter erfahren, die hier sehr aktiv ist und eine nette Community aufgebaut hat.)
Und nach allem, was man so hört, scheint das ja auch der richtige Weg zu sein: Den PR-Dienstleister hatte er damals insbesondere deswegen engagiert, weil dieser so gute Kontakte zu den Journalisten hat – und genau die braucht man heute nicht mehr, denn über Twitter und Facebook und wer-kennt-wen erreicht man die Zielgruppen ja nun direkt, also ohne Redakteure in den Kommunikationsweg zwischenschalten zu müssen. Das bringt mit sich, dass die Texte auch ruhig einen Tick werblicher verfasst sein dürfen, denn der „Gatekeeper Journalist“ fällt erfreulicherweise weg.
Weiterer Vorteil ist, dass die Texte für Facebook-Seiten nicht mehr sehr lang sein müssen, daher auch aufwendige Recherchen und Textarbeiten weitgehend entfallen können. Diese Einsparung geht mit der Tatsache einher, dass Social-Media-Plattformen generell kostenfrei sind.
Im konkreten Fall sollte sich insbesondere der Marketingleiter, privat eifriger Twitterer, um Social Media kümmern; einige xing-erprobte Vertriebsmitarbeiter erklärten sich bereit, ebenfalls aktiv mitzumachen. Das sei gut, denn damit wären Akteure gefunden, die inhaltlich sehr nahe an den Unternehmensthemen sind.
Die Rechnung
Beratung für die Einführung müsse sein. Auch das Einrichten von Facebook-Seiten, eines Twitteraccounts etc. sollte man einem spezialisierten Dienstleister überlassen. Das Operative wiederum ließe sich prima inhouse erledigen. Durch den langfristigen Wegfall der Agentur wollte das Unternehmen nach 18 Monaten einen größeren fünfstelligen Betrag einsparen.
Der Ansatz
Die Agentur erhielt also den Auftrag, das Unternehmen in Richtung Social Media zu beraten und die ersten Aktivitäten aufzusetzen. Es folgten drei Workshops mit Geschäftsführer, Marketingleiter, Vertriebschef, sogar die Web-2.0-averse Werbeagentur war mit eingebunden. Workshops, in denen gemeinsam Zielgruppen definiert und Konzeptideen entwickelt wurden – und in denen die PR-Agentur regelmäßig darauf hingewiesen hat, dass es bei Social Media vor allem um INHALTE geht, mit denen Interessenten angesprochen werden. Und es geht um RELATIONS, also darum, mit dieser Community in Dialog zu treten. Die Kommunikationsprofis hatten zudem empfohlen, einen Newsroom oder eine andere geeignete Plattform als Ausgangsbasis für die Social-Aktivitäten aufzubauen und einen Themenplan für Postings aufzustellen. Es wurden Social-Web-Plattformen identifiziert, auf denen das Unternehmen vertreten sein sollte.
Und die PR-Agentur hat vor allem versucht, deutlich zu machen, dass es nicht um Social Media ODER klassische PR geht, sondern um Social Media UND klassische PR.
All dies wurde in einem umfassenden Kommunikationskonzept zusammengefasst und präsentiert. Die PR-Agentur hat sogar ein Pflichtenheft für eine eigene Web-2.0-Plattform erstellt, die die Werbeagentur – so der Wunsch des Kunden – programmieren sollte. Zudem wurde ein Entwurf für die Social Media Guidelines geliefert.
Die Wirklichkeit
Dass aus Sicht des Kunden das Konzept der PR-Agentur offenbar einige gute Tipps zum Selbermachen enthielt, ahnten die Verfasser, weil partout kein Feedback darauf kam – außer der pünktlichen Bezahlung der Rechnung. Inzwischen weiß die PR-Agentur auch warum. Der Marketingleiter twittert an seine binnen-zwei-Monaten-mehr-als-2.000 Follower – insbesondere Termine und Links auf die (statische) Website. Die Gruppe bei wer-kennt-wen wächst, dankenswerterweise auch dadurch, dass das komplette Vertriebsteam nebst Lebensgefährten Mitglied wurden. Dass die xing-Gruppe erst 13 Mitglieder hat, mag daran liegen, dass noch keine Artikel geschrieben und Diskussionen initiiert wurden. Der Newsroom geht, so war zu hören, in Kürze online; die Werbeagentur programmiert derzeit noch an einem WordPress-Blog. Die Guidelines waren dem Geschäftsführer zu umfangreich („Das muss auf eine halbe Seite passen!“). Ein paar andere Hinweise, was im Web opportun ist und was nicht, wurden schlicht ignoriert, was bei manchen sozialen Aktivitäten des Unternehmens auffällt.
Da die Pressearbeit eingestellt worden war und keine Pressemeldungen mehr verteilt werden, gingen nicht nur die Veröffentlichungen in klassischen Printmedien, welche die Zielgruppe nach wie vor zur Entscheidungsfindung heranzieht, dramatisch zurück. Vor allem fehlen damit den Social-Media-Aktionen die Inhalte! Auch das merkt nicht nur der aufmerksame Beobachter.
Die Lehren
- Social Media leben von den Inhalten. Ein Tweet ohne interessanten Inhalt interessiert niemanden.
- Social Media Relations erfordern Wissen über das Web 2.0, über Plattformen, Prozesse, Kommunikationsstrukturen.
- Social Media Relations beanspruchen Ressourcen – Zeit und/oder Budget.
- Social Media Relations sind nicht unbedingt preisgünstiger als klassische PR – aber in vielen Fällen effektiver und effizienter.
- Social Media Relations ergänzen Public Relations – sie sind Teil davon.
- Social Media Relations erfordern Professionalität.
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Ach ja: Neulich berichtete ein Printmedium über die beachtlichen Social-Media-Aktivitäten des Unternehmens, die es mithilfe seiner Werbeagentur umsetzt. Man scheint sich also auf den Nutzen klassischer Medienarbeit rückbesonnen zu haben.
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