Machen Sie noch Facebook? – Oder: Denken Sie Social Web!

Nein, dies wird kein Social-Media-ist-im-Mittelstand-angekommen-Posting. Und doch muss es einmal gesagt werden: Social Media ist im Mittelstand angekommen. Einerseits. Denn die Anfragen nach entsprechender Beratung haben spürbar zugenommen. Andererseits das große Aber.

Bildquelle: kallejipp / photocase.com
Bildquelle: kallejipp / photocase.com

Social Media ist zwar als grundsätzliches Instrument in den Köpfen vieler mittelständischer Unternehmen mittlerweile präsent, wirkliches Wissen um Social Media ist es dagegen nicht. Zu oft wird Social Media auf Facebook reduziert. Und zu wenig wird Social Media als strategisches Element der Unternehmenskommunikation wahrgenommen. Was es braucht, ist ein Wandel im Denken vieler Pressestellen und Unternehmenskommunikatoren. Nur: Wie ist der zu schaffen? Ein Versuch.

Vergessen Sie Facebook!
Ich will hier nicht erörtern, wie es dazu kommen konnte, dass die Mehrheit der Menschen (selbst unter denjenigen, die mit Unternehmenskommunikation befasst sind) Social Media mit Facebook gleichsetzt. Viel interessanter (für mich und für meine Gesprächspartner auf Kundenseite) ist die Frage, was eigentlich das Social Web 2012 vom Internet 1998 unterscheidet. Jenseits von „Alle können sich beteiligen“, „Unternehmen und Marken können mit ihren Kunden interagieren“, „Jetzt gibt es Dialog“ und ähnlichem. Alle diese Sätze sind zwar richtig. Aber erstens beschreiben sie nur unzureichend, wie Unternehmen das Social Web effizient und strategisch sinnvoll nutzen können. Und zweitens helfen Sätze wie diese (so meine Erfahrung) dem durchschnittlichen Mittelständler nicht zu ermessen, was er für sein Unternehmen verpasst, wenn er die Chancen des Social Web nicht nutzt. Nur: Wie kann er es ermessen? Wie erklärt man das „Phänomen“ Social Web so, dass es verstehbar und damit nutzbar wird – auch für Digital Immigrants?

Denken Sie Social Media neu!

Kennen Sie den Soziologen Henri Lefèbvre? Nicht schlimm, ich auch nicht, bis ich kürzlich zufällig über ihn stolperte. In den 1950ern bemühte er sich um eine Definition der Stadt in Abgrenzung zu anderen Siedlungsmustern. Er stellte die These auf, Urbanität sei verdichtete Unterschiedlichkeit. Plätze, Boulevards, Cafés, Theater, Subkulturen – diese Kennzeichen einer Stadt, die dem Betrachter das Gefühl von Lebendigkeit und Dynamik vermitteln, beziehen ihre Kraft aus der Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Menschen um sie herum und ihrer Interessen (so meine Lesart).

Verdichtete Unterschiedlichkeit, da war doch was? Erst kürzlich veröffentlichte das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVISI) eine Studie zu (wie könnte es anders sein) Vertrauen und Sicherheit im Internet. Das wirklich interessante an dieser Studie, die vom Sinus-Institut in Heidelberg durchgeführt wurde, ist die Erarbeitung von aktuellen Milieus der deutschen Internet-Nutzer.

Digitale Sinus-Milieus
Digitale Sinus-Milieus; Quelle: Sinus-Institut Heidelberg (via www.indiskretionehrensache.de)

Das Institut identifiziert sieben unterschiedliche Sinus-Milieus – vom Internet-Gelegenheitsnutzer (Internetferne Verunsicherte) bis zur digitalen Avantgarde (Digital Souveräne). Daraus lassen sich laut Studie drei große Nutzergruppen ableiten: die Digital Outsiders, die 39 Prozent der Internet-Stakeholder stellen, die Digital Immigrants (20 Prozent) und die Digital Natives (41 Prozent). Kernerkenntnis aus meiner Sicht: Gemeinsam bilden sie einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Das Internet als Ort verdichteter Unterschiedlichkeit. Digital gelebte Urbanität.

Schaffen Sie Ihren Social Media-Kosmos!
Tatsächlich lässt sich die Morphologie der Stadt auf das Internet von heute (oder anders ausgedrückt auf den elektronischen Datenverkehr) übertragen. Hier wie dort gibt es öffentliche Räume: Straßen, Plätze und Parks in der analogen Urbanität, Newsseiten wie Spiegel Online oder heise.de in der digitalen Urbanität. Hier wie dort gibt es private Räume: Wohnhäuser und Wohnungen hier, E-Mail-Konten und die Cloud dort. Und hier wie dort gibt es die Zwischenräume: die halb-öffentlichen (Märkte und Café-Terrassen einerseits, eBay, offene Social Networks wie Facebook und Google Plus oder Foren andererseits) und die halb-privaten (Einkaufspassagen und Konferenzzentren im Analogen, Unternehmens-Websites, Blogs und Corporate Social Networks wie hertaland oder myfcb im Digitalen).

Öffentliche, halb-öffentliche und halb-private Räume werden in der Stadt seit jeher von Anbietern (Unternehmen, Marken, Organisationen) genutzt, um den Nachfragenden (Kunden, Verbraucher, Bürger) ihre Botschaften zu vermitteln. Von Aufstellern über Flyer und Plakate bis zu Info-Ständen und Guerilla-Maßnahmen reichen die Instrumente, um Städte als Kommunikationsfläche einzusetzen. Dabei wählen die Kommunikationsabteilungen vor allem die Räume, in denen sie ihre spezifischen Zielgruppen erreichen. Belebte und beliebte Plätze werden häufiger bespielt als tote und wenig frequentierte Winkel. Anders: In der analogen Stadt buhlen nicht allein Kommunikatoren um die Aufmerksamkeit der Passanten; unter den urbanen Plätzen selbst besteht ebenfalls eine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Passanten.

Ebenso verhält es sich im Web. Die Internet-Nutzer flanieren durch die Vielfalt der angebotenen Plätze. Einige Plätze sind stark frequentiert, andere sind menschenleere Web-Wüsten. Es gilt: Je interessanter die Inhalte eines Platzes sind, desto mehr Passanten zieht er an. Für Unternehmen entstehen daraus große Chancen. Die öffentlichen Plätze des Internets können sie mit klassischer Medienarbeit bespielen. Im Kern also nichts Neues. Darüber hinaus können sie aber im Web – im Gegensatz zur analogen Stadt – im Handumdrehen neue halb-öffentliche und halb-private Flächen schaffen. Theoretisch an jeder Ecke des Webs, im besten Fall genau dort, wo sie ihre Zielgruppen treffen. Facebook-Seiten, Google Plus-Profile, Blogs, Websites oder (eingeschränkt) eigene Foren und Social Communities lassen sich kostengünstig und rasch einrichten. Sie können strategisch so zueinander positioniert werden, dass sie als kleiner Kosmos wirken, in den die User von allen Seiten einsteigen und sich intuitiv hindurch bewegen – von einer Unternehmens- oder Markenbotschaft zur nächsten. Wie erfolgreich die einzelnen Elemente des Kosmos sind (im Sinn von Besucherzahlen und Besuchsintensität), hängt vor allem von der Qualität des Contents ab. Über den Erfolg des gesamten Kosmos entscheidet, wie konsistent seine Elemente zu einer überzeugenden Gesamt-Story beitragen.

Erobern Sie das Web!
Facebook ist nicht alles. Was zählt, sind die richtige Story, eine strategische Choreographie der eigenen Räume im Web und der Wille, die Chancen des Social Web voll auszuschöpfen. Jenseits von Budgetzwängen gibt es für Unternehmen derzeit keine Grenzen, sich ein ordentliches Stück Aufmerksamkeit im Internet zu sichern – und das in nahezu jeder Zielgruppe. Nur handeln müssen sie noch.

Dank an dieser Stelle an Christoph Twickel und sein großartiges Buch „Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle“, das in vielerlei Hinsicht sehr inspirierend für mich war.

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