Kurz nach dem Mittagessen an einem Dienstag Mitte März 1987. Ich hatte Semesterferien und absolvierte ein Praktikum bei der Standard Elektrik Lorenz AG (SEL) und machte mich zusammen mit meinen Kollegen Andrea und Jürgen in einem Ford Escort auf den Weg nach Hannover. Hinter Würzburg legten wir eine Kaffeepause ein und freuten uns auf ein gemeinsames Abendessen im Hotel. Es begann zu dämmern, und irgendwo hinter Kassel gab’s Blitzeis. Stau. Wenig später fing es an zu schneien. Wir bewegten uns im Zeitlupentempo zusammen mit ungezählten anderen Lkws und Pkws Richtung Norden. Zu dieser Zeit hatten wir weder Navi noch Handy (technologiebedingt) noch ein funktionierendes Autoradio (Escort-Besitzer-bedingt). Wir wussten nicht recht, wo wir sind, geschweige denn, wie die Straßenverhältnisse vor uns waren – und wann bzw. ob wir jemals ankommen sollten. In Göttingen verließen wir die Autobahn, um bei McDonald’s was zu essen – es war jetzt schon viel später, als unsere anvisierte Ankunftszeit im Hotel, der Parkplatz vor dem Burgerladen der einzige, der vom Schnee geräumt war. Kurz drauf wieder auf der A7 im Stop-and-Go-Verkehr, der bis nach Hannover reichte. Nun: Wir erreichten unser Hotel auf dem Bocksberg gegenüber dem Messegelände um kurz vor 6 Uhr am Morgen, duschten, frühstückten und gingen zum Briefing auf den Messestand. Diese CeBIT ging als „Schneebit“ in die Annalen ein.
Diese Messe war für mich, der ich bislang nur die kleine Südwest-Messe in meinem Heimatort gekannt hatte, eine Veranstaltung der Superlative. Größtes Messegelände der Welt, Halle 1 – die größte Messehalle der Welt, SEL war mit 500 Mitarbeitern auf zwei Riesenständen präsent, der Vorstandsvorsitzende hatte sein Hotel am Timmendorfer Strand und kam täglich mit dem Hubschrauber zum Messegelände, der Bundeskanzler hatte sich angesagt, der Postminister sowieso. Es gab einen bunten Abend für Journalisten mit Delikatessen, die frisch aus Stuttgart eingeflogen wurden, und schwäbischen Kabarettisten und schönen Geschenken. Überhaupt: Geschenke. Ich kam mit einem ganzen Koffer voller Wein, Schreibblöcke, einem Taschentuch, einem Speckbrett, Spielzeug und noch mehr nach Hause, vieles davon bei den Hostessen der Nachbarstände gegen die Werbegeschenke unseres Standes eingetauscht. Zufällig war an einem der Abende für mich eine Eintrittskarte für einen Showkampf zwischen Steffi Graf und Monika Seles übrig. Einen Abend verbrachten wir in der „Münchner Halle“ auf dem Messegelände, wo sich insbesondere japanische Gäste sehr wohlfühlten und gerne auch mal die Blaskapelle dirigierten. Was ich tatsächlich auf den beiden Messeständen an den acht (!) Tagen gearbeitet hatte, weiß ich nicht mehr so genau. Es war auf jeden Fall bis dahin eine meiner beeindruckendsten Wochen. Echtes big business!
3-Stunden-Nächte und gegrillte Heidschnucken
Viele CeBIT-Besuche folgten. Inzwischen mit Sympra, unterstützten wir immer wieder SEL, die inzwischen Alcatel und später Alcatel-Lucent hieß. So erstellten wir für die 500 Mitarbeiter eine tägliche Zeitung, um sie darüber zu informieren, was auf ihren Messeständen den ganzen Tag lang passierte. Wir führten tagsüber Interviews, schossen Bilder, recherchierten Themen („Wie viele Bockwürste kochen Sie jeden Tag?“), nach Messeschluss fingen wir an zu layouten. Irgendwann in der Nacht fuhren wir in unser Quartier in Pattensen, um morgens um 6 Uhr wieder auf dem Stand zu sein, um den aktuellen Pressespiegel zusammenzustellen, der Bestandteil der Zeitung werden sollte. Diese kopierten wir, hefteten sie und drückten sie pünktlich ab 8.30 Uhr dem Standpersonal in die Hand.
Ein anderer Kunde von uns hatte seine gesamte Mannschaft – das war ein ganzer Bus voll – in Privatzimmern in Winsen an der Aller untergebracht, eine gute Fahrstunde vom Messegelände entfernt. Da der Geschäftsführer seine Schäfchen auf dem Weg ins Quartier immer noch zum Abendessen einladen wollte, bedeutete dies für das Personal einen reichlich späten Feierabend. Wir waren bei diesem Softwarehersteller nicht nur für den Standbau und die Pressearbeit zuständig, sondern auch für die Wellness der Mitarbeiter, sprich: Hatte jemand ein Problem, einen Sonderwunsch oder musste was wissen, durfte er sich jederzeit an meine Kollegen Veronika und Helmut wenden. Auch das Hammelgrillen irgendwo in der Nähe von Celle hatten wir organisiert.
Prägende Erinnerungen an tolle Tage
Im Laufe der Jahre war die CeBIT fester Bestandteil unseres Agenturjahres, immer verbunden mit Stress, weil manche Exponate halt erst Tage vor Messestart fertig wurden oder weil kreative Marketingkollegen noch kurzfristig geniale Ideen hatten. Wir sind mit einem VW Polo voller Petit fours nach Hannover gereist, im Zug, nie mit dem Flugzeug. Zeitweise betreuten wir ein halbes Dutzend unserer Kunden intensiv auf der CeBIT und kamen in echte Probleme mit unseren Personalressourcen. Unsere Volontäre und Trainees konnten hier zeigen, wie belastbar sie sind. Ich erinnere mich an einige sehr erfolgreiche Pressekonferenzen, tolle Gespräche mit Redakteuren, an technische Innovationen, die hier Premiere feierten (z. B. ISDN), an Menschenmassen, die sich interessiert durch die Gänge schoben, an die Entourage, die mit dem Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin die Runde machten (toll, wenn sie auch auf einen unserer Stände kamen!), an die Delegationen, die sofort erkennbar aus dem Ostblock oder aus dem Nahen Osten angereist waren, an Günter Jauch, der eine Show auf einem unserer Stände moderierte, und an ein Michael-Jackson-Double, das Playback sang …
Ich krieg’s nicht mehr zusammen, wie oft ich auf der CeBIT war. Die letzten Jahre nicht mehr, denn unsere Kunden wollten sich den Aufwand nicht mehr antun. Auf der letzten CeBIT, die ich vor ein paar Jahren besucht habe, gab es schon arg viele Lounges und Blumenarragements, wo in besseren Zeiten Verkaufsgespräche geführt wurden. In den vergangenen Jahren interessierte mich die Messe kaum noch. Über das neue Konzept habe ich gelesen, für eine Reise an die Leine konnte es mich nicht mehr animieren. Schade.
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