Mein Start-up 1992

Wir arbeiten seit einigen Monaten für Gründermotor, eine Initiative des Landes Baden-Württemberg und der regionalen Wirtschaft, die die Aufgabe hat, Start-ups zu fördern, sie für gemeinsame Projekte mit etablierten Unternehmen zusammenzubringen. Da gibt’s die „Meisterklasse“, in der die Gründer allerlei lernen über Unternehmensführung, Produktentwicklung und Finanzierung. Ähnliches bieten die Industrie- und Handelskammern und andere Institutionen an. Hätte es solche Programme doch schon 1992 gegeben!

Damals wagten mein Kollege Helmut von Stackelberg und ich den Weg in die Selbstständigkeit.

Wie blauäugig gingen wir die Sache an! Wir hatten zwar einen guten Start, weil wir drei große Kunden von der Werbeagentur, in deren PR-Abteilung wir gearbeitet hatten, übernehmen konnten – allerdings verbunden mit einem Provisionsmodell: Für jede Mark Umsatz, die wir mit diesen Kunden künftig erzielen sollten, war ein bestimmter Prozentsatz an die Werbeagentur abzuführen. Im Prinzip fair; allein beim Aushandeln der Provisionshöhe waren wir etwas zu nachgiebig – und unter betriebswirtschaftlichen Aspekten durchaus nicht unglücklich, dass die Werbeagentur ein halbes Jahr nach Start von Sympra Konkurs anmelden musste und sich das mit den Provisionszahlungen erübrigte.

Ursprünglich schwebte uns ein Modell von Selbstständigen vor, die von einer GbR Leistungen wie Räumlichkeiten, Kopierer oder Telefonanlage beziehen sollte und sich gegenseitig Rechnungen schreiben konnte. Eine befreundete Steuerberaterin riet uns – Danke!! – davon ab und empfahl die Gründung einer GmbH, die dann auch schnell erfolgte. Wir hatten eine ausgezeichnete Anwaltskanzlei, die für uns durchdachte Verträge für die Agenturgründung vorbereitete.

Fehlerkultur

Wir machten viele Fehler. So stellten wir im zweiten Agenturjahr für einen Kooperationspartner einen Mitarbeiter ein, der in dessen Auftrag Werbekunden für ein Informationsvideo für Schwangere akquirieren sollte. Auf Erfolgsbasis. Als der Erfolg ausblieb, verklagte uns der Geschäftspartner auf 1,45 Millionen Mark Schadenersatz, was deutlich mehr war als unser damaliger Jahresumsatz. Wir holten uns anwaltliche Hilfe, die Klage wurde – natürlich – fallengelassen.

Wir stiegen ins Musical-Geschäft ein und boten komplette Galas für Unternehmen an, umgesetzt von einer Gruppe von Musical-Freunden, die die Kunstform in Deutschland etablieren wollten – lange vor dem Musical-Boom der 1990er. Einer Genossenschaftsbank konnten wir einen Musical-Abend verkaufen, inklusive Annamaria Kaufmann, dem Star aus „Phantom der Oper“. Am Abend wäre es fast zum Fiasko gekommen: Der Bankvorstand hatte einige nicht abgesprochene Überraschungen vorbereitet, woraufhin unsere Künstler nicht mehr auftreten wollten. Ich konnte schlichten, in letzter Minute (konkret um 19:59 Uhr) uns und unser Honorar sichern. Verträge mit Künstlern … wir haben fortan die Finger davon gelassen.

Wir hatten anfangs versucht, unsere Buchhaltung selbst zu stemmen, was nicht gelang und uns vermutlich ordentlich viel Geld gekostet hat. Wir hatten einen Vermieter, der uns freie Hand ließ, Renovierungen auf unsere Kosten durchzuführen, die bei einem Auszug rückgebaut werden mussten oder in sein Eigentum übergingen, so sah es der Vertrag vor. Wir haben ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, die heute keinen Arbeitsvertrag von uns bekämen – inzwischen ist unsere Menschenkenntnis gereift. Wir haben in Hardware investiert, die nach einem halben Jahr obsolet war. Wir hatten anfangs einen festangestellten Mitarbeiter, der sich ausschließlich um unsere IT-Infrastruktur gekümmert hat. Und um unsere Website, denn wir waren deutschlandweit eine der ersten Agenturen mit Website!

Team und Ökosystem

Erstaunlich, dass wir die ersten Jahre überlebt haben? Nun, wir haben vieles nicht falsch gemacht. Und wir hatten ja viele Learnings (by Doing) mit schönen und erfolgreichen Projekten, wo wir an unseren Aufgaben gewachsen sind – und (auch) darum ganz viele Fehler längstens nicht mehr machen. Vor allem: Wir hatten von Anfang an tolle Mitstreiterinnen und Mitstreiter – so stießen z. B. ganz früh Veronika Höber zu uns, die seit 2015 mit mir die Agentur leitet, meine Kommilitonin Nicole Steiger, mit der uns bis heute ein freundschaftlich-kollegial-geschäftliches Verhältnis verbindet, und Thomas Pleil, inzwischen einer der bekanntesten Hochschul-Professoren unserer Disziplin. Wir hatten von Anfang an fabelhafte Kunden, die uns vertrauten und für allerlei Experimente zu haben waren: einen Anbieter von Architektursoftware, deren Geschäftsführer auch unser Mentor war – er verstarb leider kürzlich – , ein Telekommunikationsunternehmen, das wir fast 25 Jahre lang unterstützen durften (bis es schließlich vom Wettbewerber übernommen wurde) und den Hersteller von Briefsortier- und -verteilsystemen, dem ich meine erste Asienreise zu verdanken habe. Wir hatten mit unserem Angebot, Kommunikation für erklärungsintensive Themen, eine Nische besetzt, in der es uns bis heute gutgeht.

Dennoch: Vieles wäre uns in der Anfangsphase leichter gefallen, wenn wir weniger auf Trial-and-Error setzen hätten müssen und stattdessen Hilfestellung von Profis bekommen hätten. Aus eigener Erfahrung kann ich also die vielen Programme, die Gründern heute angeboten werden, nicht genug wertschätzen. Manchmal juckt es mich da ja fast, noch einmal eine Firma zu gründen.

Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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Kommentare zu diesem Post

Helmut v. Stackelberg

Danke, lieber Veit, für diesen gelungenen Rückblick. Auch, dass wir eine Reihe von Krisen gemeistert haben, die von außen kamen (Dot-Com-Blase, Lehman-Brothers), weil wir NICHT auf jeden Zug aufgesprungen sind, hat uns wohl stärker werden lassen - und nicht zuletzt auch zu glaubwürdigen Partnern in Sachen Krisenkommunikation für den einen oder anderen Kunden. Und Dein genialer Spruch "Wir haben vieles nicht falsch gemacht" ist nicht nur bei Sympra, sondern auch im familiären Umfeld oder bei befreundeten Unternehmen ein geflügeltes Wort.

Thomas Aurich

Toller und authentischer Beitrag über den Sprung ins kalte Wasser der Geschäftswelt. Aber wir hatten ein Asset, wir haben schon während des Studiums Business trainiert: bei AIESEC. Übrigens cooler Büro Chefsessel! 🖖