Heute vor 20 Jahren…

„Ein 6, Zwo 8, zwo 0, drei 2, vier 4, drei 6, eine 8“

Heute vor 20 Jahren war ich in der bunten Modewelt tätig. Die großen Schauen, in Mailand, London, Rom waren Impulsgeber für die deutschen Hersteller. Ja, damals gab es sie noch: die Fabrikanten auf der Schwäbischen Alb. Damals wurden noch Tuche, Knöpfe, Nähgarn, Schulterpolster und und und in Deutschland produziert. Nur die Pelze kamen aus Kanada. (Silberfuchs mit langen Granen war damals modern. Das war vor dem Boykott der bekannten Models, die nackt fotografieren wurden, statt Pelz zu tragen.) Liefertermine wurden eingehalten. Schnittmuster per Hand ausgeschnitten und innerhalb der Größen hochgerechnet. Ware wurde zugeteilt. Während der Sindelfinger Modewochen wurden teilweise die Textilshops mit „Sofortware“ geschlossen! Wir waren komplett „abverkauft“. Es gab Gesetzmäßigkeiten wie: ab Mai werden von den Einzelhändlern weiße Röcke mit Futter für die Frau um Vierzig bestellt. Immer. Jedes Jahr. Die Kunden besuchten wir direkt im Ladengeschäft um in der Vororder Aufträge zu generieren. (Stellen Sie sich bitte jetzt eine Kollektion mit 100 Frottier-Bademäntel vor, die Sie in einen PKW inklusive Warenträger transportieren sollten…). Generell hatten wir viel Kundenkontakt: am Lager für die Sofortware, beim Kollektion-Schreiben im Showroom oder auf diversen Messen, beim Verkauf der Zwischenkollektionen, am Telefon für Nachbestellung oder neuen Terminvereinbarungen, beim Kauf der Schlußverkaufsware……. Die Kontakte mit den Kunden waren herzlich und familiär. Aber auch die Handelsvertreter kannten einander und pflegten einen kollegialen Umgang miteinander.

Wie es wohl heute ist?

Meine Neugier hat mich nach Sindelfingen in die Textilzentren getrieben.

Heute wird 95 Prozent der Textilien im Ausland produziert. Es gibt nur noch die großen „Textiler“ auf der Schwäbischen Alb. Diese lassen ebenfalls viel in Fernost produzieren. Eventuell erfolgt noch eine Qualitätskontrolle Vorort. Die Zulieferer produzieren ebenfalls im Ausland. Schnitte werden am PC per Programm erarbeitet. An Messen wird mangels Kunden geschlossen. Die Textilzentren klagen über Leerstände ihrer Showrooms. Sofortware gibt es – fast – nicht mehr. In der Zwischenzeit haben PCs/Laptops mit Warenwirtschaftssystemen bei großen Textilhäusern Einzug gehalten. Direkt bei der Order wird das Kollektionsteil fotografiert, ein Preis festgelegt und bestimmt, wann und auf welchem Regal dieses Teil in den Verkauf kommt. Alles sehr effizient. Der Sommer/Winterschlussverkauf wurde abgeschafft. Es werden immer noch ab Mai kurze weiße Röcke verlangt. „Bitte gefüttert, sonst  sieht man durch.“ Aber die Damen, die diese heute tragen sind nicht mehr 40 sondern 70 Jahre und älter. Schicke Mode für jedes Alter ist gewünscht. Es gibt fast nur noch die großen bekannten Mode-Labels. Die kreative Modewelt ist sehr professionell geworden.

Dennoch – zwei Dinge haben sich nicht verändert:

–          die Herzlichkeit und Menschlichkeit im Umgang miteinander und

–          die mündliche Angabe der Orderkunden beim Kollektionskauf

„Eine 6, zwo 8, zwo 0, drei 2, vier 4, zwo 6, eine 8“

(ein Teil in Größe 36, zwei Teile in Größe 38,…)

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