Heute vor 20 Jahren…

…stand ich grübelnd, tagträumend an den Altglascontainern der Stuttgarter Doggenburg und versuchte, mit den Fingern an der Litfaßsäule die oberste Schicht der aktuellen Marlboro-Werbung abzuknibbeln. Ich war 12 und hatte in 5 Minuten Unterrichtsbeginn.

Natürlich setzte ich meinen Gang zur nahegelegenen Schule weiter fort, aber richtig Lust hatte ich, wie die meisten in meinem Alter, wenig darauf. Es gab ja so viele andere wichtige Dinge zu tun. Zum Beispiel zur damals noch bestehenden DEA Tankstelle zu laufen und für 20 Pfennig ein leckeres in Plastik eingeschweißtes Wassereis in den Sorten Cola, Erdbeere oder Zitrone zu kaufen. Sehr begehrt, besonders bei den Mitschülern, waren die einzelnen, rosa farbigen und zu Beginn ziemlich harten Kaugummis. Die hatten nämlich tolle Tattoos in der Verpackung, einfach Papier ablecken und auf die noch freien Stellen am Arm drücken, 10 Sekunden warten und fertig. Herrlich!

Getauscht wurde während der Schule generell sehr viel. Von Matchbox-Autos über Quartettkarten bis hin zum Gängigsten, den Süßigkeiten. Begehrt waren z.B. die roten Kirschen, weniger die immer am Gaumen klebenden Schlümpfe und der Trumpf, mit dem man alles bekam, waren die gezuckerten Gummischlangen. Das war das ganz kleine Einmaleins der Beziehungspflege, einfach aber effizient und überlebenswichtig in der täglichen Schulhof-Kommunikation.

Das beliebteste Medium der Kommunikation waren jedoch die selbstgeschriebenen oder gemalten Zettelchen. Sie waren allgegenwärtig. Unsere SMS- oder WhatsApp-Nachrichten gingen noch von Hand in Zettelform von Tisch zu Tisch. „Pinterest“ war der eigene Schreibtisch (2.0), ein spitzer Gegenstand zum Kratzen und ein Filzer zum Ausfüllen. „Getwittert“ und „geliked“ wurde mit dem Edding auf der Toilettentüre (2.0). Es wurde weniger „gestupst“ sondern eher geschuckt, meine Freunde kannte ich noch alle beim Namen und Freundschaftsanfragen liefen via Austausch von Süßigkeiten. „Crowdfunding“ oder Schwarmfinanzierung hatten wir damals schon vor dem nahegelegenen Tante-Emma-Laden täglich praktiziert und meine erste „Cloud“ war eine alte Zigarrenschachtel, gefüllt mit den wichtigsten Fotos, Zeichnungen und Nachrichten.

Mein Reich erstreckte sich damals vom Bismarckturm über den Kräherwald bis zum Botnanger Sattel und von der Zeppelinstraße bis zum MTV-Sportverein. Alles meins. Erobert auf meinem schwarzen BMX mit gelben Kunststoff-Felgen. Ich kannte jedes Eck, jede Einfahrt, jedes Haus, jede Straße. „Google Street View“ anno 1992. Natürlich immer mit der aktuellen App.

Bild: Martina Valerius  / pixelio.de

 

 

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