Große Erwartungen

Fall 1: Unsere Partneragentur hat bereits versucht, die Erwartungen des Kunden zu dämpfen: Der Gewinn eines Auftrags für die Gestaltung einer Fanseite für ein internationales Event – ja, dazu kann man eine Presseinformation schreiben, sollte aber nicht denken, dass sie mehr als ein paar Mal als Kurzmeldung in der Rubrik Etatgewinne der einschlägigen Medien veröffentlicht wird. Kommunikationsstrategie ist nicht gefragt, der Kunde, eine Webagentur aus den USA, will partout einmalig einen Pressetext versenden und lässt uns die englische Version der Presseinfo zukommen. Die ist eineinhalb Seiten lang mit ausführlichen Erläuterungen über den Kunden (kennt in Deutschland niemand), über den Inhalt der Seite (ja, könnte Relevanz haben) und natürlich die Agentur selbst (mit Sitz in den USA). Wir schreiben aus den Informationen eine Meldung, wie sie deutsche Redaktionen lieber sehen und wie sie eine Chance auf Veröffentlichung haben könnte, stellen einen Verteiler zusammen, stimmen – über unsere Partneragentur – den Text mit dem CEO des Kunden ab. Der ist allerdings gar nicht erfreut über unsere Textanpassungen, die er sich von einem deutschen Muttersprachler hat rückübersetzen lassen, moniert, dass Inhalte weggefallen seien (richtig), dass er überhaupt mal alle zu versorgenden Medien sehen will (gerne) und vor allem unseren strategischen Plan kennenlernen möchte (siehe oben).

Fall 2: Neulich fragt ein Trainer bei uns an, ob wir ihm einen Wikipedia-Beitrag schreiben könnten. Er hat’s schon dreimal versucht und dreimal wurde der Beitrag gelöscht. Die Ursache dafür könnte gewesen sein, dass sich der Trainer vor kurzem erst selbstständig gemacht hat und bis dato keine einschlägige Vita und keine relevanten Referenzen vorweisen konnte. Ich versuche, ihm dies zu erläutern – er ist enttäuscht.

Fall 3: Wir sitzen mit einem potenziellen Kunden zwei Stunden zusammen. Er erklärt uns seine neue, bisher einmalige Software zur Steuerung von Außendienstmitarbeitern, deren Abverkauf er durch Medienarbeit unterstützen lassen möchte. Klingt interessant. Bevor wir ihm ein Angebot über unsere Dienstleistungen erstellen, googlen wir. Unter den Top-10(!)-Ergebnissen glauben wir mindestens drei Lösungen gefunden zu haben, die mit seiner konkurrieren müssten. Wir fragen nach, er gesteht, dass dem tatsächlich so sei und dass er bisher keine davon gekannt habe. Der Ansatz der Innovation entfällt, was ihn ärgert.

Fall 4: Und schließlich: Der Marketingverantwortliche eines Softwarehauses fragt, ob wir eine Pressemeldung zu einer Aktion schreiben könnten, bei der zehn Anwender seiner Software einen Beratungsgutschein über EUR 70 gewinnen können. Nein, können wir nicht. Er sieht’s ein.

Als Kommunikations-Professionals wissen wir, auf was es bei der PR (alternativ beim Storytelling und beim Content Marketing) vor allem ankommt: auf Relevanz. Wir haben die Aufgabe, dies den Kunden zu erklären, die subjektiv empfundene Wichtigkeit ihrer Themen notfalls zu relativieren, Erwartungen zu dämpfen. Das ist manchmal schwierig, kann zu Enttäuschungen führen, ja sogar zu Verärgerung, schlimmstenfalls dazu, dass man – wie jetzt im Fall der amerikanischen Webagentur – halt nicht zueinander findet. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass eine ehrliche Einschätzung der Erfolgschancen einer Aktion am Ende für alle Beteiligten viel besser ist als enttäuschte große Erwartungen.

 

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Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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