Dichtung und Wahrheit: aus dem Fall Relotius können auch PR-Schaffende lernen

Im Film spielt Schauspieler Elyas M’Barek (links) den Reporter Juan Moreno (im Film Juan Romero). Nach einem Gespräch mit dem Vertreter einer texanischen Bürgerwehr deckt er den Schwindel seines Spiegel-Kollegen Claas Relotius (im Film Lars Bogenius) auf. © UFA Fiction GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Marco Nagel

Was Claas Relotius über all das denkt, ist nicht bekannt. Weder zu dem Film „1000 Zeilen“, der im Herbst in den deutschen Kinos lief, hat er, der Hauptdarsteller, sich geäußert. Und dass jetzt das Stadttheater im schwedischen Uppsala seinen Fall zur Aufführung bringt, als erstes Theater überhaupt, ist Claas Relotius auch keine Silbe wert. Dabei hat sein Fall doch irgendwie alles ins Rollen gebracht. Die Diskussion über Dichtung und Wahrheit, über News und Fake News, über journalistische Meinungsmache und Leitmedienarroganz. Alle ereifern sich darüber:  Social-Media-Schreihälse genauso wie Vorzeige-Philosophen.

Seit seine gefälschten Geschichten im Dezember 2018 aufgeflogen sind, ist der ehemalige Spiegel-Reporter Relotius untergetaucht. Verschwunden. Zurück blieb ein fassungsloser Medienbetrieb, der bis heute hitzig darüber diskutiert, wie das passieren konnte: Dass es ein führendes Leitmedium der Republik nicht so genau nahm mit der Wahrheit. Denn irgendwann hätte den Faktencheckern beim Spiegel doch auffallen müssen, dass all die schönen Reportagen ihres Starreporters doch ein bisschen zu rund sind, um wahr zu sein. Oder nicht?

Fakten folgen Storyline

Im Film „1000 Zeilen“ weist der Vorspann die Zuschauer darauf hin, dass Handlung und Charaktere frei erfunden sind. Wirklich? Dieser Hinweis ist wohl der künstlerischen Freiheit geschuldet. Filmemacher Bully Herbig überzeichnet die Charaktere, wie man es von seinen Filmen gewohnt ist, bis hin zur Persiflage. Insbesondere die Verantwortungsträger beim Spiegel kommen ganz schlecht weg. Sie werden als größenwahnsinnige Karrieremänner dargestellt, die das Credo ausgeben, dass sich die Fakten gefälligst nach der – von Ihnen vorgegebenen – Storyline zu richten hätten, nicht umgekehrt. Ob‘s so war? Zumindest wurden Relotius Vorgesetzte und Förderer vom Spiegel gefeuert.

Reporter entlarvt Schwindler

Die Handlung basiert auf dem fast gleichnamigen Buch („1000 Zeichen Lüge“) von Juan Moreno, der den Schwindel seines Kollegen Relotius aufgedeckt hat und im Film selbst eine der beiden Hauptrollen spielt. Claas Relotius heist im Film Lars Bogenius, aus Juan Moreno wird Juan Romero und das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ kommt als „Chronik” daher. Was Dichtung und was Wahrheit ist, thematisiert der Film am Beispiel der beiden Protagonisten, die gemeinsam an einer Reportage arbeiten. Während Bogenius, immer stylisch gekleidet, unter kubanischer Sonne seinen Eingebungen folgt und Namen und Handlungen einer texanischen Bürgerwehr frei erfindet, recherchiert Romero, der immer ein bisschen heruntergekommen aussieht, live und vor Ort: Als Begleiter eines Flüchtlingstrecks, der sich seinen Weg durch Mexiko sucht, reiht er auf einer staubigen Piste mühsam Fakten aneinander. Heraus kommt die Spiegel-Reportage „Jägers Grenze“, der Text, der Relotius zu Fall gebracht hat. Wenige Tage vorher hatte er noch den Deutschen Reporterpreis gewonnen, zum vierten Mal.

Jurys ließen sich täuschen

Die begeisterten Jurys waren besetzt mit prominenten Journalisten, darunter viele ehemalige Preiseträger: Sie alle gingen Relotius auf den Leim. Ließen sich blenden von der Wucht seiner Worte, von der literarischen Geschliffenheit seiner Sätze. Fakten? Wurden nicht hinterfragt. Wie auch, spielen Relotius Reportagen doch meist in fernen Krisenländern und auf schwer zugänglichen Schauplätzen. Ganz zu schweigen von seinen Gesprächen mit – teils erfundenen – Protagonisten. Wird schon passen, steht ja schließlich im Spiegel, werden sich viele gedacht haben.

Auftrieb für Fake News

Dass Relotius jahrelang die Wahrheit frisieren konnte, hat viel mit der Eitelkeit der Branche zu tun. Im Festival der Edelfedern berauschen sich Deutschlands Vorzeigeschreiber gerne mal an ihren eigenen Worten – und vergessen darüber die Fakten. Hat der Skandal die Branche zum Nachdenken gebracht? Vielleicht. Auf alle Fälle hat er denen, die von Fake News und Lügenpresse fabulieren, weiter Auftrieb gegeben. Selbst Intellektuelle wie der Promi-Philosoph Richard David Precht werfen den (Leit-)Medien bewusste Manipulation vor. Sie würden politische Entscheidungsträger mit ihrer gleichgeschalteten Minderheitenmeinung vor sich hertreiben, so sinngemäß der Vorwurf im Buch „Die vierte Gewalt.“

Mahnendes Beispiel für PR

Was das alles mit PR zu tun hat? Wenn schon Deutschlands Leitmedien in Verruf geraten, ist das auch für die PR nicht förderlich. Zwar wird von uns, anders als von Journalisten, keine Unparteilichkeit erwartet. Wir erbringen eine Kommunikationsleistung und werden dafür bezahlt. Aber dürfen wir deshalb Fakten verdrehen, um eine Geschichte rund zu machen, oder auch nur ein ganz kleines bisschen schwindeln? Das wäre dumm. Wer das tut, riskiert nicht nur die eigene Reputation, sondern auch die der Kolleg:innen und, fast noch schlimmer: die der Kunden. Im PR-Handwerk, vor allem in der B2B-Kommunikation, zählen Fakten mindestens genauso viel wie im Journalismus. Faktenbasierte PR, die erklärt und aufklärt, schafft Glaubwürdigkeit und Authentizität. Schöne Worte sind der Werbung vorbehalten. Insofern können auch wir PR-Leute aus dem Fall Relotius lernen.

Bei Sympra gilt übrigens grundsätzlich das Vier-Augen-Prinzip. Und anders als die Faktenchecker beim Spiegel schauen wir nicht weg, wenn‘s unbequem wird.  

Nachtrag:

Relotius Reportagen findet man als kommentierte Spiegel-Veröffentlichungen gebündelt im Netz. Sehr lesenswert. Wer sich über den Fall Relotius informieren will, sollte das Buch „1000 Zeichen Lüge“ von Juan Moreno lesen. Ist vielleicht weniger unterhaltsam, dafür aber spannender als der Film, der in den bekannten Streamingdiensten ab Frühjahr 2023 wieder verfügbar sein wird. Der Fall Relotius wird uns, als Lehrstück für Dichtung und Wahrheit, so oder so erhalten bleiben

Über den Verfasser

Johannes Manger ist Senior Consultant bei Sympra, betreut Kunden aus dem Technologiebereich und kümmert sich um den Ausbau des Baubereichs. Vor Sympra war Johannes Manger mehr als 20 Jahre lang bei der Messe München beschäftigt, zuletzt als Abteilungsleiter Bauwesen & Immobilien im Bereich Marcom. In dieser Funktion verantwortete er die Kommunikation für Messen wie die BAU, die bauma, die transport logistic und die EXPO REAL.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert