20 Jahre im Homeoffice

Neulich habe ich meinen Schulfreund Stefan Hahn getroffen. Der arbeitet bei einem großen IT-Unternehmen und berichtete mir, dass er seit Anfang der 2000er Jahre zu Hause arbeitete. Daran erinnerte ich mich, als jetzt das Thema Homeoffice plötzlich auch für mich relevant wurde. Also rief ich an, nein: Ich ließ mich von ihm zu einem Skype-for-Business-Call einladen.

Lieber Stefan, meine vierte Woche im Homeoffice ist angebrochen, und ich kann mich immer noch nicht so recht daran gewöhnen. Wie geht es dir damit?

Hallo Veit, da muss ich jetzt schmunzeln. Denn für mich ist die Arbeit im Homeoffice seit Anfang der 2000er Jahre der Normalzustand und: Ich liebe es. Natürlich bin ich auch gerne mal in einer unserer Niederlassungen und oft bin ich bei Kunden oder Partnern unterwegs, aber an den allermeisten Tagen arbeite ich zu Hause.

Wie kam es, dass du seit so langer Zeit vor allem im Homeoffice arbeitest?

Ich habe im Jahr 2001 die Tätigkeit eines Krisenmanagers für Europa, den Nahen Osten und Afrika in unserem Servicebereich übernommen. Eine Krise beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Büro, sondern passiert irgendwo: auch mal in Böblingen, wo mein offizielles Büro damals war, aber typischerweise nicht dort, sondern bei Kunden in Amsterdam, München, Lissabon, Kapstadt oder Jerusalem. Und typischerweise fängt eine Krise nicht am Morgen um 8 Uhr an, sondern irgendwann am Tag. Und endet spät … Da ist ein Homeoffice als Arbeitsplatz nur konsequent.

Erzähl‘ doch mal, was ist dein aktueller Job?

Nach meiner Tätigkeit als Krisenmanager hatte ich verschiedene Managementjobs mit nationalen und internationalen Verantwortlichkeiten. Aktuell leite ich, nach einer fünfmonatigen Auszeit mit der Familie letztes Jahr, interimsmäßig ein Team von Installationsfachleuten für ganz Deutschland. Sprich: Meine Mitarbeiter sind über die ganze Bundesrepublik verteilt.

Wie du weißt, fahre ich sonst jeden Morgen in mein Büro in der Stafflenbergstraße, zu Hause habe ich bisher nur im Notfall oder am Wochenende gearbeitet. Hast du Tipps für mich als Homeoffice-Neuling?

Natürlich! Ich musste hier erst ein wenig in mich gehen, da viele Dinge für mich selbstverständlich geworden sind über die Jahre.

Das ist zunächst die Infrastruktur: Eine räumliche Trennung vom Wohnbereich ist meines Erachtens notwendig. Dazu gehört auch eine klare Abmachung mit der Familie: Der Raum, in dem ich arbeite, hat eine Tür, an der man klopfen muss. Und wenn ich nicht „Herein!“ sage, darf man auch nicht reinkommen. Das ziehe ich konsequent durch. Das hat auch mein kleiner Sohn sehr schnell verstanden – übrigens schneller als meine Frau.

Dann die Technik: Die meisten meiner Termine sind Gespräche über das Headset, oft begleitet durch eine Präsentation. Eine stabile DSL-Internetleitung ist dafür natürlich essentiell. Ich rate von den Billiganbietern ab und fahre mit einem der beiden „Großen“ ohne einen einzigen Ausfall seit 2001 sehr gut. Kollegen von mir mussten schlimme Erfahrungen mit der günstigen Konkurrenz machen. Ein guter, großer Bildschirm ist optimal, ein Laptopmonitor geht nicht. Ein besonderes Erlebnis habe ich durch die Anschaffung von ordentlichen Lautsprechern gewonnen. Mein Tipp sind Multimedialautsprecher aus dem Musikinstrumentenhandel, die nicht signifikant mehr kosten als normale Computerlautsprecher, aber qualitativ in einer ganz anderen Liga spielen. Dann lassen sich auch stundenlange Telefonate viel besser ertragen. Und beim Headset unbedingt darauf achten, dass dieses schnurlos und nicht über Bluetooth funktioniert. Ansonsten ist es nicht möglich, aufzustehen und sich im Raum zu bewegen, um Gedanken besser zu fassen.

Okay, das sind die Rahmenbedingungen. Und nun zu dir: Wie arbeitest du?

Wichtig ist Selbstdisziplin: Wenn ich arbeite, dann arbeite ich, auch wenn mein privates Umfeld ja vor der Zimmertüre ist. Das mag trivial klingen, ist aber eine Einstellungssache. Ich strukturiere meinen Tag und trage mir Termine und Aufgaben in meinen Kalender ein – typischerweise am Sonntagabend oder Montagmorgen und überprüfe diesen Plan täglich. Termine dürfen nicht direkt aufeinander folgen, stattdessen gönne ich mir kurze Verschnaufpausen. Ich bearbeite viele sehr unterschiedliche Themen den Tag über – und ich nutze diese drei bis zehn Minuten langen Breaks, um mich zu sammeln und mich zu erholen. Mein Tagesablauf beinhaltet auch eine feste Mittagspause und meinen Feierabend.

Und das klappt ausnahmslos?

Fast. Natürlich fällt z. B. auch mal ungeplante Kinderbetreuung an. Das bespreche ich mit meiner Frau und trage auch diese Zeiten in meinen Kalender ein, sodass wir die Aufgabe wie beim Staffellauf übergeben können. Bis auf wenige Fälle hat das funktioniert, obwohl wir beide Vollzeitjobs haben. Natürlich hole ich die Zeiten am Abend oder am Wochenende nach oder nehme, in Absprache mit meinem Vorgesetzten, stundenweise frei. Hier ist mein Unternehmen sehr flexibel.

Danke dir, das hilft mir bestimmt, die nächsten Wochen durchzuhalten. Vermisst du denn das Zusammentreffen mit Kollegen im „echten“ Büro gar nicht? Die Meetings mit Kaffeeduft, Mimik der Kollegen, der Smalltalk auf dem Weg in die Kantine?

Manchmal treibt das Homeoffice schon seltsame Blüten. In meinem Job bis 2019 hatte ich ein Team mit Mitarbeitern aus der Schweiz, Österreich, Deutschland, Bulgarien und Russland. Es hat 18 Monate gedauert, bis ich das erste physische Teammeeting mit allen Mitarbeitern hatte. Ausschließlich mithilfe von IT und Telekommunikation Vertrauen zwischen und mit den Mitarbeitern aufzubauen war sehr herausfordernd. So saß zum Beispiel meine Assistentin in Sofia, verwaltete meine E-Mail-Inbox und meine Termine. Ich habe sie nie gesehen. Aber habe schnell festgestellt, dass durch meinen Vertrauensvorschuss in sie eine exzellente Zusammenarbeit möglich war. Was hatten wir für einen Spaß, als wir uns dann endlich alle „in echt“ trafen.

Wie schafft man es trotzdem, das Team zusammenzuhalten bzw. auch in neue Richtungen zu motivieren?

Das kostet natürlich Zeit und Energie. Aber: Mit jedem meiner Mitarbeiter habe ich, je nach seinem Wunsch, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich einen 1:1-Termin, dessen Länge individuell festgelegt ist, zwischen 15 Minuten und 1 Stunde. Zusätzlich gibt es einmal im Monat eine Telko mit allen Mitarbeitern, in der wir Strategisches und Neuigkeiten, aber auch Ergebnisse und Erfolge austauschen. Dazu kommen eine operative Telko alle zwei Wochen. Das reicht in Normalzeiten erfahrungsgemäß aus, da sich die Mitarbeiter in den Niederlassungen oft physisch treffen.

Aktuell fallen die Treffen mit Kollegen im Büro in der Regel weg. Deshalb habe ich einzelne Mitarbeiter gebeten, Videokonferenzen als „virtuelle Kaffeeecke“ einzurichten. Ich wollte dazu als Vorgesetzter nicht einladen, da die Teilnahme freiwillig ist, aber ich nehme natürlich oft daran teil. Das wird gerne angenommen, gerade von jungen Mitarbeitern, die jetzt in ihren kleinen Wohnungen alleine sitzen. Und da finden dann Gespräche über alles statt – aber typischerweise nicht über die Arbeit.

Glaubst du, wenn sich alles etwas beruhigt hat, werden mehr Menschen die Möglichkeit nutzen, im Homeoffice zu arbeiten?

Ich bin überzeugt, dass einige Menschen in meinem Umfeld ihre Verweigerungshaltung gegenüber der Digitalisierung aufgeben und die Bedeutung von Homeoffice relativieren werden. Ein schönes Beispiel dafür sind ja die Schulen und Hochschulen, die das Potenzial meines Erachtens bisher kaum genutzt haben und jetzt positive Erfahrungen machen. Auch viele Unternehmen lernen gerade, wie wertvoll es ist, für Fragen das Team oder einen Partner oder Kunden kurz und spontan in eine Telko oder eine Videokonferenz zu holen.

Stefan, danke dir für deine Einschätzung und deine wertvollen Tipps. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder in der realen Welt. Bis dahin, bleib gesund!

Das hoffe ich auch! Alles Gute, Veit.

 

Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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