Absagekultur

Wir erhalten eine vielversprechende Initiativbewerbung. Erfahrener PR-Professional, passende Vita, nach Elternzeit auf der Suche nach einem Wiedereinstieg, gern 50 Prozent. Wir laden ein, führen ein interessantes Gespräch. Weil wir uns den Bewerber gut für Sympra vorstellen können, kommt es zu einem zweiten Gespräch. Wir sind uns sympathisch, Themen passen, ökonomische Rahmenbedingungen ebenfalls. Wir sprechen schon über Details wie „wo werde ich sitzen?“, „kann ich statt am 1. am 3. mit der Arbeit beginnen?“ und „ich würde gern mittwochs kochen“. Wir vereinbaren, für beide Seiten noch einmal eine Woche Bedenkzeit. Auf Wunsch des Bewerbers verlängern wir die Frist für ihn um eine weitere Woche. Er will uns dann definitiv Bescheid geben. Wir hören nie mehr etwas von ihm.

Ein potenzieller Kunde bittet um einen Termin. Ein bekanntes mittelständische Unternehmen möchte seine PR-Aktivitäten in zehn definierten Ländern verstärken. Er kam auf uns, weil wir in diesen Ländern mit Partneragenturen vertreten sind. Wir unterhalten uns intensiv über die Besonderheiten von Pressearbeit in Frankreich und Social Media in Brasilien. Der Interessent hat Vorstellungen, was er in den Landesgesellschaften verändern will, und weiß, dass er dazu externe Unterstützung braucht. Wir erklären ihm, dass er dafür auch Budget bereitstellen muss. Dies sei kein Problem, meint er und übergibt uns ein Wunschzettel mit Leistungen, die wir von unseren Partneragenturen kalkulieren lassen mögen. Das machen wir gern, kostet uns allerdings viele Stunden. Wir tragen Preise zusammen, erstellen ein auf das Unternehmen zugeschnittenes Gesamtpaket, schicken es dem potenziellen Kunden zu – und hören nie mehr etwas von ihm. Mails bleiben unbeantwortet, Anrufe können nicht durchgestellt werden („… ist gerade in einer Besprechung“).

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Ich habe gar kein Problem, wenn sich jemand gegen ein Angebot von uns entscheidet – sei es ein Stellenangebot oder ein Angebot für eine unserer Dienstleistungen. Ich akzeptiere auch, wenn der Umfang eines Wunschzettels nicht zu den finanziellen Möglichkeiten passt. Oder wenn ein anderer Arbeitgeber womöglich noch attraktiver ist als Sympra.

Aber ich erwarte eine Nachricht, einen Anruf, ein Mail. Nicht einmal eine Erklärung, aber wenigstens eine Absage!

Nachdem die o. g. Beispiele keine Einzelfälle sind, frage ich mich: Bin ich altmodisch? Habe ich einen Trend verpasst? Oder hatte ich es nur mit Menschen zu tun, die nicht mehr wissen, was sich gehört?

Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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Kommentare zu diesem Post

Sandra

Hallo Veit, deinen Ärger verstehe ich gut. Ich finde deine Erwartung auch gar nicht altmodisch. Ganz im Gegenteil ist es ein Zeichen von Anstand abzusagen. Mir passiert das auch häufiger und ich ärgere mich jedes Mal tierisch. Jetzt bin ich dazu übergegangen, mir zu sagen, dass ich mit solchen Leuten nicht arbeiten möchte. Die geben bestimmt keine guten Kunden / Mitarbeiter ab. Gruß Sandra

veit64

Danke Sandra, bin also nicht allein.