Virtual Reality: Was hilft’s dem Architekten?

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Visionen greifbar, Bauprojekte erlebbar zu machen – davon träumen Architekten. Auch unsere Kunden aus dem Bau- und Architekturbereich sind auf der Suche nach Tools, die Gebäude, Innenraumgestaltung oder Baustoffe authentisch darstellen. Virtual Reality (VR) macht Ideen und Modelle greifbar und erlaubt es dem Betrachter, in neue Welten einzutauchen. Diplom-Ingenieur für Architektur und VR-Experte Michael Stamm von SHAP3D hat uns mehr dazu erzählt …

Visualisierung in Echtzeit ist in der Architektur angekommen. Sie macht Häuser virtuell begehbar, veranschaulicht Pläne, macht selbst akustische Veränderungen spürbar. Wo geht die Reise hin?

Die Einsatzmöglichkeiten im Bau- und Architekturbereich, die Sie nennen, sind meiner Meinung nach richtig; allerdings ist „angekommen“ zum jetzigen Zeitpunkt eine etwas optimistische Einschätzung. Unserer Erfahrung nach sind Immobilien, zu deren Marketing oder Entwicklung aktuell Echtzeitvisualisierungen zum Einsatz kommen, noch eher die Ausnahme. Doch die Aufmerksamkeit für das Thema Echtzeit und Virtual Reality wächst, auch außerhalb der VR-Entwicklergemeinde. Mit den Verkaufsstarts der intensiv beworbenen 3D-Brillen wie Oculus Rift und der HTC Vive kommt das Thema – und damit auch das Wissen über die Möglichkeiten der Technik – stärker in der Breite an. Dies hat zur Folge, dass immer mehr Anwendungen erdacht und entwickelt werden.

Welche Vorteile bietet der Einsatz von VR im Baubereich?

VR bietet ganz besondere Möglichkeiten der Präsentation, wie sie von keiner der klassischen Visualisierungen wie z. B. Renderings oder Animationsfilm erreicht werden – und zwar auf mehreren Ebenen. Da ist zum einen das schlichte „Mehr“ an Information, das innerhalb einer Echtzeitvisualisierung transportiert werden kann, weil sich damit ein ganzes Projekt anschaulich betrachten und beurteilen lässt. Renderings und auch Videosequenzen können letztlich immer nur Ausschnitte zeigen. Ein Gebäude in Gänze, also aus jedem Blickwinkel und vielleicht in verschiedenen Varianten mittels Einzelbildern oder Filmen zu zeigen, würde jeden Rahmen sprengen. Innerhalb einer Echtzeitvisualisierung können Sie Ihren Blickwinkel selbst wählen und per Tastendruck zwischen verschiedenen Alternativen von Farben, Materialien, Grundrissen etc. wechseln, um diese zu vergleichen. Gleichzeitig ermöglicht eine interaktive Präsentation die direkte Verknüpfung von Informationen und unterschiedlichen Medien, sodass auch vielschichtige Zusammenhänge schnell und verständlich und damit besonders effizient kommuniziert werden können. Zusatzinformationen können an beliebiger Stelle als Text, Bild oder Video innerhalb der Echtzeitanwendung integriert und nach Belieben vom Betrachter aufgerufen werden.

VR ist also vor allem ein Mehr an Perspektiven, Wahlmöglichkeiten und Informationen, die sinnvoll verknüpft werden?

Nicht nur. Gute VR-Präsentationen schaffen, was sich mit Animationsfilmen nur schwer, mit Bildern gar nicht erreichen lässt: ein echtes Erlebnis. Das Gefühl, wirklich vor Ort zu sein, ist schwer zu beschreiben. Aber wenn man eine VR-Brille aufsetzt, vergisst man sehr schnell das Drumherum und bekommt ein echtes Gefühl für den Raum. Dadurch entsteht auf unterhaltsame und eindrucksvolle Art und Weise eine emotionale Erfahrung im Zusammenhang mit dem Projekt, die gerade aus Marketingsicht schwer zu überbieten ist.

Man kann sich vorstellen, dass dies gerade für die Planung und Vermarktung von Gebäuden eine große Rolle spielt …

Absolut. Und der Trend, sehr realitätsnahe virtuelle Welten zu erzeugen, wird sich meiner Meinung nach weiter fortsetzen. Bis hin zu Echtzeit-Raytracing, das ganz besonders realistische Darstellungen erlaubt. Zukünftig lassen sich auch der Grundriss und die Einrichtung sowie die Materialien einer Wohnung in Echtzeit editieren, was heute aufgrund der nötigen Vorberechnung der Beleuchtung nur mit stark reduzierter Darstellung möglich ist. Gerade das Marketing im Architektur- und Immobilienbereich wird davon profitieren, dass auch komplexe Material- und Lichteigenschaften sowie Geometrien darstellbar werden, weil sie für die lebendige, atmosphärische und realistische Wirkung ausschlaggebend sind.

Als wir seinerzeit PR-Konzepte für CAD-Systeme für Architekten entwickelt haben, als diese Technologie ganz neu war, haben wir die Branche als wenig technikaffin erlebt. Wird es VR da leichter haben?

Das muss sich zeigen. Für Architekten, Raumausstatter, aber auch Möbelhersteller und Einrichtungshäuser bieten sich zumindest neue Marketingoptionen. Erste Anfänge lassen sich heute bereits erkennen, etwa bei VR-Installationen im Mediamarkt oder bei IKEA. Doch auch für die Planung von Gebäuden könnte VR in Zukunft eine größere Rolle spielen. Denken Sie zum Beispiel nur an die Möglichkeiten der Hololens von Microsoft, mit der sich virtuelle Inhalte perspektivisch korrekt in das vorhandene Sichtfeld integrieren lassen sollen. Ich kann mir den Einsatz in Rohbauten vorstellen, wo vor Ort, quasi „in echt“, verschiedene Ansätze des späteren Ausbaus verglichen und diskutiert werden, um nur ein mögliches Beispiel zu nennen. Ähnlich dessen, wie wir es zurzeit in den sozialen Medien erleben, könnte auch durch VR die Beteiligung des Kunden, des Nutzers, also die Einflussnahme der Zielgruppe auf den Prozess, weiter wachsen.

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Michael Stamm beschäftigt sich seit dem Architekturstudium mit dem Thema Visualisierung in Echtzeit. Mit einem Studienkollegen und einem Informatiker startete er 2013 die Firma SHAP3D. Mehr Infos hier.

In einer nächsten Folge erzählt Michael Stamm, wie VR in der Architekturkommunikation eingesetzt werden kann.

Über die Verfasserin

Anahita Shakour-Wiegand ist Senior Consultant für die Redaktion von Bau-Themen und berät Kunden in allen Bereichen der PR, vornehmlich als Bau-Expertin. Agenturerfahrung im Baubereich sammelte sie zuvor sechs Jahre als Consultant und Senior Consultant in einer Agentur für Bauwesen, Wohnen und Einrichten.

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