Social Networking a la Mexicana

 

Skyline Mexico D.F.

Ich verbrachte die vergangenen anderthalb Wochen in Mexiko und durfte wieder einmal die nationalen Unterschiede in Sachen Netzwerken erleben. Mit wie vielen meiner ehemaligen Mitschüler habe ich noch Kontakt? Mit einem guten Dutzend vielleicht. Bei den Alumnis sind es einige mehr. Bei meinen Kontakten in Xing sind bestimmt nicht alle wirklich strapazierbar.

Wie kommt es also, dass im Gegensatz dazu in Mexiko jeder (und zwar jeder) ein soziales Netzwerk hat, das so viel umfangreicher ist und so viel besser funktioniert – und vor allem: das keiner Unterstützung von Social-Networking-Plattformen bedarf? Dazu ein paar Beobachtungen:

1.Die Familien sind meist größer, und damit stehen auf jeden Fall schon mal zusätzliche Multiplikatoren zur Verfügung. Dazu kommen noch die Freunde der Töchter und die Freundinnen der Söhne – und voilà: Die Gruppe der Community-Mitglieder ist vervielfacht.

2.Das Wir-Gefühl an den Schulen ist ausgeprägter. Man geht auf eine Schule, nicht auf irgendeine, sondern auf seine Schule, auf die beste. Das schweißt zusammen, auch noch Jahrzehnte nach dem Schulabschluss. Jeder Mitschüler hat wieder einige Geschwister,  und das Netzwerk wächst.

3.Das Hochschulleben ist geselliger: An den Universitäten finden sich Gruppen von Studenten aus denselben Bundesstaaten, in Studentenwohnheimen rund um den Campus Tag und Nacht herrscht ein aktives Studentenleben, wie wir es allenfalls von US-Teenagerkomödien aus dem Fernsehen kennen. Klar, dass die Kontakte, die hier entstehen, von langer Dauer sind. Die Universitäten unterstützen den Zusammenhalt der ehemaligen Studenten zusätzlich durch ihre umfangreichen Alumniaktivitäten.

So, und wie sieht nun Social Networking in der Praxis aus? Ich reise mit meiner Familie nach Monterrey und finde dort wegen einer Messe kein Hotelzimmer. Kein Problem für meinen Freund Juan, den ich vor 17 Jahren kennen gelernt habe: Er ruft kurz seine Schwester an, die im Hotel Intercontinental arbeitet, und binnen Minuten haben wir eine kleine Suite, zum Freundschaftspreis versteht sich. Zahnweh in Cuernavaca – die Empfehlung der Nachbarin (es ist der Neffe ihres Mannes) ersetzt die Suche in den gelben Seiten. Meine Schwägerin soll einige Wochen an der Grenze zu Texas arbeiten – kein Problem, da kann sie bei der Schwester einer Schulfreundin einziehen, die seit einigen Jahren im selben Ort wohnt. Übrigens hätte sich ihr eine vergleichbare Lösung vermutlich für jede andere mexikanische Stadt auch ergeben. Tipps, wo man einen attraktiven Arbeitsplatz findet, kommen fast ausschließlich aus dem Bekanntenkreis, nicht von der Arbeitsagentur oder aus Stellenanzeigen. Um an die Informationen über das PR-Budget zu kommen, welches ein Ministerium gerade ausschreibt, kümmert sich mein Freund Jaime, dessen Schwägerin den Staatssekretär ganz gut kennt. Über meine gut vernetzten Freunde und Verwandten kenne ich auf diese Weise also inzwischen eine erstaunliche Menge von Unternehmern, Politikern und Künstlern – relativ gesehen weit mehr als hier in Deutschland.

Natürlich sind auch die digital natives und immigrants in Mexiko zusätzlich digital vernetzt. Facebook, Hotmail, Hi5, LinkedIn, selbst Xing unterstützen das Networking. Twitter, so mein Eindruck, ist zurzeit noch weniger verbreitet als in Deutschland. iPhone und Blackberry zum mobilen Networking sind vergleichbar preisgünstig und gehören bei Freaks und Geschäftsleuten zur Grundausstattung. Die Anzahl der Telefonate, die meine Schwägerin über ihr Handy führt, übersteigt die von mir um einen deutlich zweistelligen Faktor.

Mir scheint, dass wir in Sachen Networking von den Mexikanern noch einiges lernen können. Dass zum Beispiel eine Riesenmenge von virtuellen Freunden und Kontakten in Social Networks noch nichts aussagt über die Qualität tatsächlichen persönlichen Infrastruktur. Die Bereitschaft (weiter) zu helfen ist ausgeprägter als bei uns und daher haben auch Kontakte zweiten oder dritten Grades noch eine höhere  Bedeutung. Die Social Networks sind daher viel mehr ein Abbild der realen Kontakt als eine Plattform, um sich eine Community mit neuen “Freunden” aufzubauen. Mir ist jedenfalls nie bange, wenn ich in Mexiko einen Kontakt knüpfen möchte – spätestens der Schwager oder dessen Freund oder dessen Cousine kennt da doch  bestimmt jemanden …

Bild: andres balcazar / iStockphoto

Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

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Kommentare zu diesem Post

Dusan Minic

Finde ich interessant - und wichtig. Wir sollten bei allem Online-Networking hier in Deutschland nicht vergessen, dass persönliche Beziehungen doch die wichtigsten sind und manche Xing-Kontakte so etwas nicht ersetzen können.

@dusanminic

interessanter blog-artikel: networking a la mexicana: http://tinyurl.com/635wj6

Gunnar

Auch deswegen bin ich im Roten Kreuz, weil es hier, zumindest noch vereinzelt, so etwas wie Kameradschaft gibt. Der Grundgedankge, dass wir im Roten Kreuz alle eine große Familie sind, die zusammen halten, funktioniert zumindest noch teilweise. Und wenn man dann so etwas wieder erleben darf weiß man, wofür die ganze Plagerei gut ist. Man trifft sich persönlich, aber auch der Kontakt über die elektronischen Medien ist wichtig und nicht mehr wegzudenken.

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