Litigation-PR: Das Recht (zu) kommunizieren

Erst neulich war ich wieder in unserem Büro in Brüssel und führte Gespräche mit Vertretern internationaler Anwaltskanzleien und EU-Offiziellen. Im Zuge dieser Gespräche erfuhr ich, dass fast alle internationalen Anwaltskanzleien professionelle Kommunikationsagenturen einsetzen, um ihre Fälle zu kommunizieren. Nicht, dass mich diese Tatsache alleine überrrascht hätte, sondern es war vielmehr die Regelmäßigkeit und Selbstverständlichkeit mit der dies inzwischen geschieht.

Anwälte und Kommunikation waren ja lange Zeit so gegensätzlich wie Plus und Minus, Feuer und Wasser oder Amy Winehouse und die Betty-Ford-Klinik. Es schien einfach nicht zusammengehen zu wollen. Doch offenbar tut sich etwas auf dem Gebiet der Juristerei. Die Anwälte scheinen das Kommunizieren jenseits von Gerichtssälen und Schriftsätzen gelernt zu haben. Vorbei die Zeiten, in denen der Advokat Reporterfragen mit einem unwirschen „Kein Kommentar“ abbügelten. Sie interessieren sich nun für Medienarbeit, lassen sich in Sachen Public Relations schulen, besuchen Seminare zur Öffentlichkeitsarbeit– und kaufen erfreulicherweise meine Bücher.

Die Ziele der Advokaten liegen auf der Hand:

  1. Die Anwälte wollen auf diese Weise bekannter werden (und mehr Mandanten bekommen)
  2. Sie wollen die Perspektive ihres Mandanten kommunizieren, um damit Einfluss auf die Rechtsfindung, wenn nicht sogar auf die Rechtssprechung zu nehmen.

Gerade hinsichtlich des zweiten Punktes heißt das: Anwälte wollen mit Hilfe der PR ihre Fälle gewinnen, oder zumindest das Bestmögliche für ihre Mandanten rausholen.

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erst einmal erklären, was wir bei NAIMA Strategic Legal Services in Berlin (und auch in Brüssel) eigentlich so machen:

Wir sind die erste Litigation-PR-Firma in Deutschland, die sich einzig und alleine auf strategische Rechtskommunikation fokussiert. In enger Zusammenarbeit mit den mandatieren Anwälten steuern wir die Kommunikationströme vor, während und nach juristischen Auseinandersetzungen. Wir erschaffen dabei nachrichtentaugliche Kommunikationsevents rund um straf- oder zivilrechtlichen Auseinandersetzungen. Ziel unserer Arbeit ist es, die Strategie der Anwälte zu unterstützen, die Reputation des Mandanten zu schützen und die Schlacht nicht nur im Gerichtssaal selbst, sondern gleichzeitig auch im Gerichtshof der Öffentlichkeit zu gewinnen.

Wir sehen die enge Zusammenarbeit mit den Anwälten als ganzheitlichen Prozess bei einer juristischen Auseinandersetzung, in dem unsere Litigation-PR-Spezialisten ZUSAMMEN mit den Anwälten in EINEM Team arbeiten. Manche bezeichnen uns als „Spin-Doktoren des Rechts“, was natürlich völliger Quatsch ist, weil wir nicht die Wirklichkeiten/Fakten „spinnen“, also verdrehen, sondern einzig und alleine die Perspektive des Mandanten in der Öffentlichkeit darstellen.

Doch wie machen wir das? Wie funktioniert das?

Nun, wir arbeiten an der Fusion zweier sehr mächtiger Sphären unserer Gesellschaft: Der Sphäre der Juristen und der Sphäre der meinungsbildenden Öffentlichkeit, also der Medien, der gesellschaftlich releventanter Interessenvertretungen, Aktionsgruppen und Politikern. Diese beiden Sphären verschmelzten wir zu einer neuen, extrem wirkungsvollen Waffe, die der Gerechtigkeit den Weg bahnen soll und ihr hilft, sich letztendlich auch dort zu zeigen, wo sie bisweilen schon gar nicht mehr erwartet wird. Das ist keinesfalls so esoterisch, wie das klingen mag, sondern es ist das, was die Amerikaner mit Litigation-PR bezeichnen und was ich mit „strategischer Rechtskommunikation“ übersetzen würde.

Litigation-PR hat ihren Ursprung im New York der 80er Jahre, als die Wall Street mächtig brummte, und das Fegefeuer der Eitelkeiten an allen Ecken und Enden der Stadt prasselte. In dieser Zeit kam es zu einer Reihe spektakulärerer Prozesse, rund um die geschäftlichen aber auch die privaten Seiten der grossen Players an der Wall Street.

Warum wurden diese Prozesse über die Medien ausgetragen? Zum einen sollte so versucht werden, das Gericht – und hier vor allem die Jurymitglieder – von aussen zu beeinflussen. Zum anderen wollte die Verteidigung damit sicherstellen, dass nicht nur der Prozess im Gerichtssaal selbst, sondern dass auch die Schlacht auch im Gerichtsshof der Öffentlichkeit gewonnen wird. Denn gerade dort sitzt eine zweite und mitunter noch wesentlich machtvollere Jury, deren Urteil für den Mandanten von einer grösseren Bedeutung sein kann, als das Urteil der eigentlichen Jurymitglieder auf der Geschworenenbank.

Bald schon wurde den Beteiligten an diesen juristisch-medialen Schlachten eines klar: Die herkömmlichen, traditionellen Mittel der Public Relations greifen hier einfach zu kurz. Juristische Auseinandersetzungen sind extrem komplex und sensibel. Jedes Detail, was bei einer juristischen Auseinandersetzung nach Aussen kommuniziert wird, inklusive der Tatsache wie und von wem solche Infomationen kommuniziert werden, können der Strategie der Anwälte und damit dem Mandanten großen Schaden zufügen.

Spezialisten mussten also her. Experten, die sowohl die Befindlichkeiten und Ängste der Anwälte verstehen, die sich in der Welt des Rechts auskennen, die gleichzeitig auch wissen, welche Inhalte an die Medien kommunziert werden können – und welche besser nicht. Sie müssen ein grosses politisches Verständnis haben und ein das Wissen um die Mechaniken der Medien in ihrem Gencode verankert haben. Kurz und gut: Es ist die Rede von Litigation-PR-Experten, einer eigentümlichen und sehr seltenen Spezies von Kommunikatoren, die sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnten eine immer wichtigere Stellung im PR-Bereich erarbeitet haben.

Ich werde immer wieder gefragt, warum diese Litigation-PR hier in Deutschland und vielen anderen Europäischen Ländern greifen sollte, in denen (angeblich) unabhängige Richter und nicht eine Jury über Schuld und Unschuld entscheiden und in denen (angeblich) unabhängige Staatsanwälte die Ermittlungen führen?

„Wir sind Jury!“

Meine Anwort ist ganz einfach. Litigation-PR greift auch in Nicht-Jury-Ländern deshalb, weil WIR ALLE teil einer Jury sind. Wir, das heißt, die Medienkonsumenten, die Medienvertreter, die Öffentlichkeit, die Entscheider in Politik und Wirtschaft. Wir alle zusammen befinden über Schuld und Unschuld eines Angeklagten und stellvertretend für uns natürlich die Medien. Und wir alle zusammen sind – auch wenn das so mancher Richter und nicht so gerne hören mag – durchaus in der Lage juristische Abläufe zu beeinflussen. Um es mit einer abgewandelten BILD-Schlagzeile zu sagen: „Wir sind Jury!“

Das ist nicht ganz so neu, auch nicht in Deutschland, denn es gab auch schon vorher immer wieder sehr erfolgreiche Versuche seitens der Anwälte aber auch der angeblich „objektivsten Behörde der Welt“, nämlich der Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit für oder gegen eine juristische Partei zu instrumentalisieren.

Ich nehme mir die Freiheit zu behaupten, dass sich das Selbstverständnis der Staatsanwälte kongruent zu dem sich in den vergangenen 15 Jahren stark gewandelten Medienumfeld verändert hat. Diese Behauptung basiert keinesfalls auf wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern vielmehr auf Beobachtungen in der Praxis. Nicht nur, dass wir inzwischen über eine Vielzahl von Fernsehsendern verfügen, sondern wir haben auch Nachrichtenkanäle, die 24 Stunden am Tag senden, wir haben unzählige Radiostationen, eine seit der New Economy stark angestiegenen Zahl an Wirtschaftsmedien und wir haben das Internet mit seinen internetbasierenden Diensten wie Blogs, Twitter, Podcasts etc..

So haben sich die Nachrichtenzyklen extrem verkürzt. Es ist in den vergangenen Jahren ein extrem hungriges Medienmonster herangewachsen, das ständig mit Informationen gefüttert werden will und das den Ruf einer Person und eines Unternehmens in nur 15 Minuten komplett ruinieren kann.

Das haben inzwischen auch die Staatsanwälte mitbekommen. Sie haben erkannt, dass man sich über eine spektakuläre Ermittlung, über eine medial gut aufbereitete Razzia oder eine inszenierte Inhaftierung durchaus einen Namen machen kann. So kommt es, dass sich immer mehr Staatsanwälte immer öfter viel weit aus dem Fenster lehnen. Zu weit, für meinen Geschmack.

Staatsanwälte verfügen über ein Arsenal an PR-Folterinstrumenten. Foto: Rudolf Struzyna, photocase
Staatsanwälte verfügen über ein Arsenal an PR-Folterinstrumenten. Foto: Rudolf Struzyna, photocase

Staatsanwälte können nicht nur mit ihrer offensiven Informationspolitik den Ruf einer Privatperson, eines Unternehmers, eines Unternehmens oder einer bekannten Persönlichkeit zerstören und sie in der Öffentlichkeit vernichten. Sie können noch viel mehr: Staatsanwälte dürfen Durchsuchungen einleiten, Vermögen einfrieren, U-Haft anordnen, wenn angeblich Fluchtgefahr besteht (Beispielsweise wenn der Beschuldigte ein Ferienhaus in Südfrankreich haben sollte). Sie können Ermittlungen in  die Länge ziehen und den Verteidigern des Beschuldigten die Arbeit erschweren, in dem sie die Akteneinsicht hinauszögern. Staatsanwälte verfügen damit über ein nicht unerhebliches Arsenal an Folterinstrumenten, das auch gerne mal beim Beschuldigten angelegt wird, um ihn „gefügig“ zu machen. Gerne auch bei komplexen Wirtschaftsstrafverfahren.

Doch was tun, wenn die Staatsanwaltschaft mit voller Macht zulangt, ohne Rücksicht auf Verluste und Verletzte? Lässt sich ein adäquates Gegengewicht zu den staatsanwaltschaftlichen Handlungen und legalen Grenzgängereien schaffen? Wie können solche überbordende Handlungen der Staatsanwaltschaft eingedämmt werden?

Gezielte, strategische Gegenöffentlichkeit schaffen

Meine Antwort lautet: Durch eine gezielte, strategische Gegenöffentlichkeit im Einklang mit der Strategie der Verteidiger. Eine Kommunikation, mit der wir die Position der Beschuldigten aufzeigen um einer Vorverurteilung durch Medien und Öffentlichkeit entgegen zu wirken, um einer sozialen Exekution etwas entgegenzustellen und um die Gerechtigkeit wiederherzustellen, die eigentlich darauf beruht, dass die Staatsanwaltschaft eine neutrale Position bei den Ermittlungen bekleiden sollte.

In zivilrechtlichen Auseinandersetzungen sieht die Sache dann schon wieder ganz anders aus.  Durch eine strategische Kommunikation kombiniert mit einer geschickten juristischen Strategie kann der juristische Gegner zu einem außergerichtlichen Vergleich an den Verhandlungstisch gebracht werden. (Die Mehrzahl aller zivilrechtlichen Fälle werden außergerichtlich beigelegt). Zu groß wäre der Imageschaden, den das Unternehmen im Zuge einer juristischen Auseinandersetzung erleiden müsste. Politiker würden sich einschalten, Interessenverbände, Pressure-Groups. Letztendlich kommt der Druck auf die Unternehmensführung auch seitens der Investoren/Anteilseigner des Unternehmens, die es satt haben, dass der Firmenname des Unternehmens ständig in negativen Schlagzeilen zu finden ist, sehr zur Freude der Konkurrenz und zum Schaden der Aktienbesitzer.

Wir haben das schon vielfach selbst erlebt und erfolgreich durchgespielt.

  • Banken entschädigen Mittelständler oder Kommunen, die durch ihre Finanzprodukte geschädigt wurden.
  • Hersteller fehlerhafter Produkte einigen sich mit ihren geschädigten Kundengruppen
  • Umweltfrevler entschädigen Betroffene oder lassen von ihren umweltschädlichen Bauvorhaben ab
  • Staatsanwälte müssen ihre Ermittlungen einstellen oder in eine andere Richtung lenken
  • Patentstreitigkeiten zwischen Unternehmen werden früher beigelegt
  • Arbeitgeber hören auf, Mitarbeiter zu bespitzeln oder abzuhören
  • Behörden müssen erkennbar absurde Entscheidungen zurücknehmen

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie mit Hilfe eines strategischen, medial-juristischen Öffentlichkeitsarbeit während einer juristischen Auseinandersetzung der Öffentlichkeit angeblich „hoffnungslose“ Fälle gegen scheinbar übermächtige juristische Gegner gewonnen werden können. Juristische Auseinandersetzungen können extrem verkürzt werden, Unternehmen viel Geld sparen, den beteiligten Anwälten die gewünschte Öffentlichkeit liefern,

Wer allerdings glaubt, Litigation-PR beschränke sich auf die reine Pressearbeit während einer juristischen Auseinandersetzung, der hat nicht begriffen, um was es eigentlich geht. Wer glaubt, mit ein paar Pressemitteilungen und einer Pressekonferenz könne man das Urteil eines Richters beeinflussen, der sollte besser die Finger davon lassen.

Litigation-PR ist komplex und sehr fordernd: Wir instrumentalisieren alles und jeden, um dem juristischen Ziel des Mandanten möglichst nahe zu kommen. Wir arbeiten mit den Medien, mit Politikern, Interessenverbänden, Gewerkschaften, Pressure-Groups und NGOs. Wir besorgen fallrelevante Informationen, stellen Dossiers zusammen, lassen psychologische Einschätzungen des Gegners erarbeiten, analysieren das mediale Umfeld, recherchieren die Stärken und die Schwächen sowohl des Mandanten als auch seines Gegners. Wir arbeiten den Fall verständlich auf, schälen den Kern des Falles aus dem juristischen Wust heraus, setzen das Ganze grafisch um und bauen spezielle Litigation-PR-Websites auf.

Und neu: Wir beraten Unternehmen, die etwa eine neue Dienstleistung, einen neuen Vertriebsweg, eine neue Beschäftigungsstruktur etc planen, in dem wir ihren „Fall“ gezielt aus der Sicht des Gegners auseinandernehmen. So wie Sicherheitsfirmen Hacker beschäftigen, um die Schwachstellen eines Sicherheitssystems zu entdecken, so „attackieren“ unsere Litigation-PR-Spezialisten und Anwälte den „Fall“ aus der Perspektive des Gegners. Ein solches vorgehen wird bei mittleren und großen Unternehmen immer wichtiger, angesichts der hohen Millionen- oder gar Milliardenstrafen für Kartelle, Preisabsprachen etc auf Bundes- oder Europaebene.

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Kommentare zu diesem Post

Carsten Ulbricht

@veit64 vielen dank für den hinweis auf diesen beitrag

tatsächlich zeigen die letzten "skandale" um jako und jack wolfskin, dass heute auch die verfolgung nachvollziehbarer interessen und berechtigter ansprüche ohne entsprechende kommunikation zum pr-gau werden kann.

wie bereits in meinem beitrag "pr 2.0 & recht - dos and donts in der modernen unternehmenskommunikation" unter http://www.rechtzweinull.de/index.php?/archives... dargestellt, ist gerade bei solch öffentlichwirksamen abmahnungen oder gerichtlichen auseinandersetzungen eine enge abstmmung zwischen pr- und rechtsspezialisten von enormer bedeutung.

damit unternehmen auch schnell auf negative entwicklungen im internet reagieren können, sollten sie die sogenannten sozialen medien nicht nur monitoren, sondern im optimalfall über eigene kanäle (wie blogs oder twitter) verfügen, um diese medien mit eigenen informationen zu versorgen. die reguläre pressemeldung kommt da oft zu spät.

spezialisten zur litigation pr können da sicher helfen. aufgrund meiner spezialisierung im social web denke ich einige erfahrung im umgang mit der entsprechenden öffentlichen wahrnehmung und berichtersattung gesammelt zu haben. dennoch kann man von pr profis immer noch einiges lernen.

umgekehrt erlebe ich aber auch, dass pr spezialisten sich immer stärker gerade auch für die rechtlichen implikationen im internet und den sozialen medien interessieren.

offensichtlich gibt es in unserer modernen welt eine vielzahl von problemstellungen, die nicht mehr klar einer disziplin zuzuordnen sind, sondern im besten fall von spezialisten verschiedener fachrichtungen gemeinsam diskutiert und gelöst werden.

Uwolff

@ Carsten Ulbricht

Ein sehr starkes Instrument bei der Litigation-PR sind sogenannte Litigation-PR-Websites, die wir dann schalten, wenn wir der interessierten Öffentlichkeit schnell und ungefiltert Informationen hinsichtlich Perspektive des Mandanten zugänglich machen wollen. Das funktioniert hervorragend. Ein gutes Beispiel dafür war die LPR-Website von Martha Stewart während ihres Prozesses und ihrer Haftzeit (Mehr Informationen dazu in meinem Buch "Im Namen der Öffentlichkeit - Litigation-PR als strategisches Instrument bei juristischen Auseinandersetzungen"). Ein anderes hervorragendes Beispiel ist die LPR-Website von AMD in der EU-Auseinandersetzung mit Intel. (http://breakfree.amd.com/) Auf diesen Websites wurden und werden in Zukunft die sozialen Medien stärker eingebunden.